Hauptsache, wir leben behutsam

Wort zum Tage
Hauptsache, wir leben behutsam
17.08.2018 - 06:20
20.06.2018
Michael Becker
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Das Mädchen musste still sein. Immer. Sie waren Deutsche, also Fremde in Rumänien. Sie hofften auf Freiheit und lebten in der Diktatur. Das Mädchen Herta Müller war aber nicht still. Die Frau später auch nicht. Sie dachte immer noch an Freiheit und sprach davon im Untergrund. Bis es nicht mehr ging und sie ausreist. Herta Müller wird berühmt, bekommt den Literaturnobelpreis. Und denkt beim Schreiben an die, die heute noch still sein müssen in den Diktaturen. Oder nach ihrem Weg suchen in einer ihnen fremden Welt. Einmal schreibt sie:

             Es gibt für das, was das Leben ausmacht, keinen Durchblick.

             Nur gebrechliche Einrichtungen des Augenblicks.

Oft tun wir, als sei alles klar und viereckig. Oder rund und schön. Ist es aber nicht. Herta Müller, die heute 65 Jahre alt wird, weiß das. Auch wenn man in Freiheit groß wird wie ich, gibt es selten Durchblick. Das zu wissen hilft mir.

Es zu beachten noch mehr. Wie oft hatte ich einen guten Plan und war schon am nächsten Tag im Zweifel. Man denkt sich seinen Teil und vergisst, dass andere Menschen anders denken, anderes wollen. Es gibt nur gebrechliche Einrichtungen des Augenblicks. Das mag etwas übertrieben sein, ist aber wahr. Niemand soll mit dem Kopf durch die Wand wollen. Niemand darf seinen Plan durchsetzen wollen um jeden Preis. Heute zu leben heißt umsichtig sein, behutsam, rücksichtsvoll. Ellbogen sind gefährlich. Sie tun Menschen weh. Auch mir selber, wenn ich sie einsetze.

          Leise Töne und Vorsicht helfen mehr. Weniges ist so klar, wie es auf den ersten Blick aussieht. Das ist auch nicht schlimm. Man muss nicht durchblicken, wenn man umsichtig ist. Dann schaut man ja nicht nur geradeaus, sondern auch neben sich und hinter sich. Da sind auch Menschen. Manchmal ratlos wie ich. Sie stützen mich und ich sie. Gemeinsam achten wir auf den Weg. Vielleicht stolpern wir mal, auch übereinander, das kann sein. Hauptsache, wir leben behutsam, auf Menschen achtend. Und bedenken, wie zerbrechlich wir selbst sind. Dass wir oft Hilfe nötig haben, fast bei jedem Schritt. Also Gott bitten dürfen: Sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.


Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Michael Becker