Helden mit Herz

Wort zum Tage
Helden mit Herz
20.07.2015 - 06:23
23.06.2015
Pfarrer Rainer Stuhlmann

Deutsche Jungen weinen nicht. Mit diesem Motto sind Generationen von Männern groß geworden. Tränen gelten als Zeichen der Schwäche und Männer sehen sich gerne als „das starke Geschlecht“. Aber auch starke Männer haben ein Herz, das fühlen und mitfühlen kann.

 

Solche starken Männer waren die „Männer des 20. Juli“. Elite-Offiziere, die durch eine harte Schule gegangen waren. Am Ende haben sie gewagt, ihren Eid auf den Führer zu brechen, sich ins Zwielicht des soldatischen Ungehorsams zu begeben und sich trotz schwerer Gewissensbisse an der Ermordung des Tyrannen zu beteiligen. Heute vor 71 Jahren wurden sie in Berlin hingerichtet.

 

Sie wollten dem Strom von Blut und Tränen, der mit jedem Tag im Zweiten Weltkrieg größer wurde, ein Ende setzen. Aber am Abend des 20. Juli 1944 stand fest: das Attentat auf den Führer war gescheitert. Die mutigen Attentäter wurden als Verräter erschossen. In Europa wurde weiter gemordet und geweint.

 

Die blinden Massen jubelten über die göttliche Vorsehung, wie die Nazis sagten, die den Führer beschützt hatte. Nur den wenigen Weitsichtigen, die den Wahnsinn voraussahen, war zum Weinen zumute. Ihre Tränen waren Ausdruck von Wut. Sie weinten über ihre Ohnmacht angesichts der Übermacht des Bösen. Sie weinten auch über das Unbegreifliche: Das Böse triumphiert. Und die Guten, die ihm ein Ende setzen wollten, scheitern. Warum? Mein Gott, warum?

 

Die Frage bleibt ohne Antwort. Darum haben viele aufgegeben, diese Frage zu stellen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Die die unbeantwortbare Frage an Gott stellen, finden sich mit dem unbegreiflichen Bösen nicht ab. Die unbeantwortbare Frage ist Protest, der die Hoffnung nicht fahren lässt.

 

Ich glaube nicht an den Gott der Nazis, der die Geschicke lenkt. Ich glaube an den Gott Israels, der wie eine Mutter ihren Kindern die Tränen abwischt (Jesaja 25,8). Die  ihnen das Böse nicht erspart, aber sie auch in diesen bösen Erfahrungen nicht allein lässt. Ich glaube an den Gott mit Herz. Den mütterlichen Gott, der trösten kann. Und damit Kraft gibt, dem Bösen zu widerstehen und Wege der Umkehr und des Neubeginns zu finden.

 

„Das größte Wunder des Zwanzigsten Jahrhunderts“, sagte mir eine Jüdin in Israel, „ist für mich die Verwandlung Deutschlands – vom Terrorstaat zu einem der stabilsten Rechtsstaaten dieser Welt, der niemanden mehr bedroht“. Ich weiß nicht, warum mir bei diesen Worten die Tränen kamen. Siebzig Jahre nach dem Holocaust. Ich fühle die darin liegende Verpflichtung. Mit der Annahme dieser Verpflichtung kann ich die damals am 20. Juli 1944 gescheiterten Helden heute ehren.

23.06.2015
Pfarrer Rainer Stuhlmann