Honig und Stachel

Wort zum Tage
Honig und Stachel
10.08.2021 - 06:20
04.08.2021
Melitta Müller-Hansen
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„Das Wort Gottes gleicht der Biene: Es hat Honig und Stachel“. So sagt es der Talmud, die Auslegung der hebräischen Bibel. Worte wie Honig, Worte wie ein Stachel. Lebensworte. Liebesworte. Alle Deboras tragen das in ihrem Namen. „Debora“ heißt im Hebräischen so viel wie „Biene“, auch Honig. Dahinter steckt eine spannende Geschichte. In religiösen Traditionen und Mythologien der Frühzeit hat die Biene kultische Bedeutung. So wurde beispielsweise die Priesterin von Delphi im antiken Griechenland als delphische Biene, Melisse bezeichnet, weil sie das Orakel mit Hilfe eines Bienenstocks sprach. Der Kontakt zwischen der diesseitigen und jenseitigen Welt wird also durch die Biene und ihren Honig möglich – sie wirkt Wahrsagung, Prophezeiung, Inspiration. Verwandelt die Biene doch Blumennektar in Honig. Und die Honigwabe ist ein ganz großes Kunstwerk, ein Wunderwerk der Bienen – in alledem hat man göttliche Weisheit entdeckt. Debora – Biene, Honig.

In der Bildersprache des Hebräischen kommt aber noch etwas dazu: In „Debora“ steckt der Wortstamm "dabar" (דבר), was so viel wie "Rede" oder "Wort" bedeutet. Die Richterin Debora, wie sie im biblischen Buch der Richter porträtiert wird, ist begabt mit der prophetischen Rede, sie hat die Aufgabe, "für Gott" zu sprechen. Und da ist nicht immer nur süßer Honig zu verteilen. Da kann auch ein Stachel nötig sein und eingesetzt werden. Debora hat mit ihren Worten Menschen wohl öfter auch einen Stich versetzt.

Das Wort Gottes gleicht der Biene: Es hat Honig und Stachel“.

Goldene Farbe, süß, mit Lindenblütengeschmack, Akazie oder Blumenwiese. Das ist ein wunderschönes Gleichnis: Honig. Das göttliche Wort is Nahrung und Genuss für die Seele, es tröstet, macht frei von falschen Bindungen und Autoritäten. „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“. Es verbindet Menschen guten Willens, die nach Frieden und Gerechtigkeit dürsten. Vergangenes wird gegenwärtig – der ganze Reichtum der biblischen Geschichten - und die Zukunft steht unter dem Vorzeichen „Gott ist treu, das göttliche Wort bleibt ewig“…

Wenn es zur Umkehr anstachelt, tut es auch weh. Macht mir schmerzhaft bewusst, wo ich gegen mein Wesen arbeite und lebe. Mir und anderen, der Mitwelt, dem Kosmos Schaden zufüge.

Gottes Wort, süß wie Honig und spitz wie ein Stachel. So soll es auf Menschen wirken und durch sie sprechen. Dass sie es unerschrocken wie Debora in die Welt hineintragen.

04.08.2021
Melitta Müller-Hansen