Immer mittwochs. Seit zwanzig Jahren

Wort zum Tage
Immer mittwochs. Seit zwanzig Jahren
17.08.2016 - 06:23
17.08.2016
Pfarrer Michael Becker

Sie treffen sich immer mittwochs. Und das seit zwanzig Jahren. Drei alte Männer auf dem Weg zur Kirche. Einer hat den Schlüssel. Er schließt auf, die drei setzen sich in eine Bank. In immer die gleiche Bank. Vorne links die zweite. Da sieht man den Heiland am Kreuz besser. Der lächelt sie an, hoffen sie. Im Winter sind die drei dick angezogen. Es ist eiskalt in der Kirche. Im Sommer ist es dort herrlich kühl. Die Kirche liegt etwas außerhalb des Dorfes. Man hat einen kleinen Spaziergang mit Zigarre zum Heiland. Immer mittwochs. Seit zwanzig Jahren.

 

Sie wollen danken, die Männer. Jede Woche wieder. Vor Jahren sind sie aus Kasachstan gekommen, wie viele Russlanddeutsche. Mit ihren Frauen. Die Kinder kamen erst später und wohnen weiter weg. Jetzt sind die drei Männer alt. Und nicht so gesund. Einer ist Witwer. Danken geht aber immer. Für den Frieden, die Familien, die Ernte, die Nachbarn, die Toten. Und für das schöne Dorf, in dem sie leben dürfen. Die Einheimischen waren freundlich zu ihnen, als sie damals ankamen. Sie konnten unbedrängt leben. Vor zwanzig Jahren hat einer der drei dann gesagt: Wir könnten doch zur Kirche gehen. Zuerst gingen sie hin und wieder, später einmal die Woche. Erst Spaziergang mit Zigarre, dann Kirche. Und Beten. Danken und Bitten. Sie wollen Gott beim Wort nehmen. Wenn ihr mich sucht, sagt Gott, wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, will ich mich von euch finden lassen. Wo sonst sollen wir Gott suchen und finden als beim Beten. Also beten sie. Nach dem Rauchen. In der schönen Kirche. Keiner der drei sagt ein Wort, etwa eine halbe Stunde lang. Die Augen sind geschlossen. Oder sie sehen zum Heiland, der über dem Altar hängt. Vielleicht lächelt er sie an. Und freut sich über ihren Besuch. Dann sagen die drei still, was sie auf dem Herzen haben. Danken für all das Gute, bitten um Frieden für die Welt, um Glück für ihre Kinder und Enkel und um ein ruhiges Sterben.

 

Wenn die Kirchenglocke vier schlägt, geht’s wieder heim. Mit Zigarre. Und leichteren Herzen. Als sei der Heiland neben ihnen. Bis nächste Woche, könnte der Heiland ihnen noch gesagt haben. Er kennt die drei ja schon lange. Und sie ihn.

17.08.2016
Pfarrer Michael Becker