Lebenswerke

Wort zum Tage
Lebenswerke
13.03.2021 - 06:20
04.03.2021
Sabrina Fabian
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Als Petra an diesem Samstagnachmittag mit Terrier Paulchen spazieren geht, kreisen ihre Ge-danken um eine E-Mail.
In ihrem Postfach war die Einladung zum 15-jährigen Klassentreffen nach dem Abitur. Und plötzlich sind ihre Träume von damals wieder lebendig: Sie wollte Krisenreporterin im Nahen Osten werden zum Beispiel, sie wollte eine Bar eröffnen, sie sah sich als Politikerin Reden halten. 
Sie spürt den verschiedenen Versionen von Petra nach. Einige haben sich nicht ergeben, ande-re sich als unrealistisch erwiesen. Aber auch wenn ihre Erfüllung vorbeizog, die meisten sind noch tief in ihr drin. Petra ist ganz benebelt von der Frage: „Was habe ich in diesem Leben eigentlich auf die Beine gestellt?“
Und dann reißt sie ein Ruck aus ihren Gedanken. Sie hat kurz das Gefühl zu fallen, aber fängt sich mit dem nächsten Schritt. 
Da hat eine ältere Dame auf einer Parkbank gesessen und Petra ist tatsächlich in ihren Geh-stock hineingelaufen. Petra entschuldigt sich, Terrier Paulchen bellt erschrocken. Aber die alte Dame ist ganz entspannt. Ihr ist nichts passiert.
Was denn los sei, möchte die Frau wissen und tätschelt mit der Hand einladend das Parkbank-stück neben ihr. 
Zu Paulchens Erstaunen setzt Petra sich hin und erzählt. Die Gelegenheit ist zu verlockend – auch wenn sie die alte Dame gar nicht kennt. 

Ob sie Kinder habe, fragt die ältere Frau. 
Ja, und die seien großartig, aber Kinder, die hätten ja viele und viele eben nicht, und sei das wirklich alles, was sie vorzuweisen habe?
Bestimmt nicht, pflichtet die Dame bei. Was denn mit ihrem Job sei? 
Ja, sie sei sehr glücklich und habe das Gefühl einen sinnvollen Beitrag zu leisten, Gehalt könn-te besser sein, aber eigentlich reiche es vollkommen. 
Der Hund, ergänzt die alte Dame.
Ja, Paulchen; sie kümmere sich; auch um viele andere, ihre Schwiegermutter, dann ist da der alte Onkel, der keine Kinder hat. 
Dann ist es plötzlich still zwischen ihnen. Die alte Dame sieht Petra an, so lange, dass es ihr unangenehm wird und sie vorsichtig fragt: „Was ist denn los?“

„Ach, wissen Sie“, sagt die alte Dame, „jetzt sehe ich ganz genau, was sie alles auf die Beine gestellt haben. Es sitzt jetzt gerade vor mir. Sie haben ihre Träume mit mir geteilt. Die Men-schen, für die sie da sind. Das, womit sie ihren Alltag bestreiten. Und da ist es doch. Das, was sie jeden Tag auf die Beine stellen: Sich selbst!“

Mit diesen Worten drückt sich die alte Dame mit ihrem Gehstock nach oben und geht gemäch-lich den Parkweg entlang. Petra bleibt noch eine Weile verblüfft sitzen. Als sie sich aufrichtet, merkt sie mit einmal, wie viel sie da gerade stemmt. Und Paulchen trabt leichtfüßig neben ihr nach Hause.
 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

04.03.2021
Sabrina Fabian