Glitzer

Wort zum Tage
Glitzer
12.03.2021 - 06:20
04.03.2021
Sabrina Fabian
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Ich bin nah am Wasser gebaut. Ich weine nicht nur bei Beerdigungen und Hochzeiten. Meine Augen werden nicht nur bei Filmszenen feucht, die zum Anrühren inszeniert sind. Tränen schießen mir auch in die Augen, wenn ich wütend werde, weil ich etwas ungerecht finde. Meine Tränen fließen öfter, wenn mein Gegenüber etwas aus seinem oder ihrem Leben erzählt: etwas Trauriges, etwas Geschafftes, einen Wunsch für die Zukunft. Selbst in den Inter-viewpartner einer Dokumentation fühle ich mich so schnell ein, dass sein Schicksal etwas in mir rührt. Nicht jeder kann damit umgehen. Weinen ist für die meisten Menschen ein Zeichen von Schwäche. Und die Schwäche des Anderen fordert heraus. Sie überfordert. Die Schwäche des anderen mitzutragen, sie vielleicht stützen zu müssen, das ist eine Überforderung. Dabei sind meine Tränen eigentlich etwas anderes als Schwäche.

Mit meinen bin ich in guter Gesellschaft, finde ich. Jesus weint, als er vom Tod des Lazarus erfährt. Da „gehen Jesus die Augen über“ (Johannes 11,35) – Tränen fließen über seine Wan-gen. Die Umstehenden lesen an seinen Tränen ab, wie gern er Lazarus gehabt haben muss. Sie sehen in den Tränen keine Schwäche, sondern Trauer um einen Freund. Was sie nicht sehen: Es ist auch Wut in diesen Tränen. Über die Kapitulation vor dem Tod, über den Mangel an Hoffnung. Schließlich holt Jesus Lazarus ein paar Augenblicke später zurück ins Leben. Was für eine Kraft.  Und ich wünschte, mehr Menschen würden mit einem anderen Blick auf Tränen schauen und sie nicht als die Abwesenheit von Kraft und Stärke deuten. Dann zeigen Tränen, dass sich etwas in dem Weinenden regt. Dann sind sie Ausdruck von innerer Stärke. Weinende Menschen setzen sich mit etwas auseinander, sie lassen etwas in sich bewegen. Ihre Tränen sind Tränen der Empathie und der Empörung.
Dünnhäutig sein bedeutet so gesehen nicht “übersensibel“ sein sondern transparent werden. Man lässt etwas durchscheinen, gibt etwas preis. Dünnhäutig sein teilt mit. Emotionen nach außen gekehrt. Keine Verhärtung, keine Blockade. Alles im Fluss wie laufende Tränen. 
Überhaupt brauchen Tränen einen besseren Ruf: Denn sie sind weit mehr als nur Ausdruck von Rührung und Trauer, von Wut und Schwere. Tränen können Situationen veredeln, sie schmü-cken Momente wie durchsichtige Perlen. Denn Tränen glitzern. Und manche Momente können Glitzer vertragen.
 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

04.03.2021
Sabrina Fabian