Marias Testament

Wort zum Tage
Marias Testament
06.02.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen

„Der Junge wurde zu einem Mann und verließ das Elternhaus und er starb am Kreuz. Ich möchte mir vorstellen können, dass das, was mit ihm geschah, nicht kommen wird, dass es uns sehen und sagen wird: nicht jetzt, nicht die. Und uns gestattet sein wird, in Frieden alt zu werden.“

 

In seinem Roman „Marias Testament“ lässt der irische Schriftsteller Colm Toibin die Mutter Jesu ausführlich zu Wort kommen. Und es ist eine ganz andere Maria, als die, die uns oft gezeigt wird. Keine empfängliche Jungfrau und auch keine duldsame Schmerzensmutter, die still den Tod ihres Sohnes beweint. Diese Maria zweifelt sehr daran, dass der Tod ihres Sohnes Teil eines göttlichen Plans sei. „Wenn ihr sagt, dass er die Welt erlöst hat, dann sage ich, dass es das nicht wert war“. Solche Worte legt der Autor seiner Maria in den Mund. Und er malt aus, dass man deswegen immer wieder zwei Aufpasser zu Maria schickt. Sie sollen darauf achten, dass die offizielle Auslegung der Geschehnisse um Kreuz und Auferstehung nicht durch Marias Meinung beschädigt wird.

 

Eine neue Sicht auf Maria. Dass Jesu Verhältnis zu seiner Mutter eher angespannt war, lassen die Geschichten aus dem neuen Testament immer wieder durchblicken. Schon als 12jähriger geht Jesus seinen Eltern verloren, mit Absicht, wie sich später herausstellt. „Was geht es dich an, was ich tue?“, so fährt Jesus seine Mutter einmal an. Und bei einer anderen Gelegenheit will er sie erst gar nicht sehen. Seine Familie seien jetzt seine Jüngerinnen und Jünger. Ein schwierig zu liebendes Kind ist dieser Jesus. Er geht seinen eigenen Weg. Und in Frieden alt werden, das ist offenbar kein Lebensziel für ihn.

 

Wir sind es gewohnt, in Maria die große Einverstandene zu sehen. Das war nicht von Anfang der Christenheit an so. Erst seit dem Konzil von Ephesus 431 n.Chr. wird sie als „Gottesgebärerin“ bezeichnet. Damals begann die Verehrung Marias als Mittlerin zwischen Gott und Menschen. Ihre Erfahrungen von Leid und Schmerz und ihre Einwilligung in Gottes Pläne mit ihr wurden zum Vorbild für Gläubige.

 

Mir ist die Maria lieber, von der Colm Toibin in seinem Roman erzählt. Eine Mutter, die nicht einverstanden ist mit dem Lebensweg, den ihr Sohn einschlägt. Und dennoch lernen muss, mit diesem anderen Weg zu leben. Doch sie bleibt grundsätzlich skeptisch gegenüber Menschen, die Leid und Sterben als Teil eines göttlichen Plans interpretieren und für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. So steht sie bis heute neben all den Müttern dieser Welt, deren Kinder leiden und sterben müssen für ein vermeintlich höheres Ziel. Sie können damit einfach nicht einverstanden sein.

11.01.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen