Mein ist die Rache nicht

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Toa Heftiba

Mein ist die Rache nicht
mit Pfarrer Eberhard Hadem
25.08.2022 - 06:20
11.06.2022
Eberhard Hadem
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Gott, vertilge sie im Zorn, vertilge meine Feinde, dass sie nicht mehr sind (Ps. 59,14). Wenn ich einen solchen Bibelvers höre oder laut lese, stockt mir der Atem. Darf man Gott um so etwas bitten? In den Psalmen für unsere Sonntagsgottesdienste kommt so ein Satz nicht vor. Nur in Klöstern werden in den Stundengebeten auch Rachewünsche aus den Psalmen der Bibel gesprochen, ein Zeichen der Solidarität mit Menschen, die erleben müssen, was schrecklich und unmenschlich ist. Menschen sollen ihren Zorn, ihre hilflose Wut hinausschreien dürfen. Im Bild gesprochen: Sie sollen das, was sie als endlosen Ewigkeitsschmerz empfinden, Gott an den Kopf werfen dürfen.

Trotz vieler Fotos und Videos, die in aller Welt gesehen werden, bleibt das tatsächliche Leid der Opfer oft verborgen. Nicht nur in der Ukraine. Auch an vielen anderen Orten der Erde. In den Psalmen der Bibel bekommen geschundene Menschen eine Stimme. Und andere können – an ihrer Seite oder auch stellvertretend für sie – diese Worte beten: Gott, wach auf… sei keinem von ihnen gnädig. Errette mich von den Übeltätern und den Blutgierigen (Ps. 59,3.6). Es geht um Gerechtigkeit für die Opfer! Darum dürfen solche Bibelverse nicht ausgeklammert werden. Aus den Psalmen geliehene Worte haben die Macht, die Betenden aus Schweigen und Ohnmacht einen ersten Schritt herauszuführen. Weil sie die Würde der Opfer bewahren. Oder sie sogar für sie zurückgewinnen.

Und wenn ich selbst auf keinen Fall Gott so bitten will, kann ich respektieren, dass andere vor mir oder neben mir auf der Welt Gott anders sehen als ich selbst. Und kann vielleicht sogar das eigene Bild von Gott überdenken. Die Rachepsalmen sind sozusagen der Dunkelraum in der Gefühls- und Emotionswelt der Bibel, den ich nicht ausblenden möchte.

Denn darum geht es: In der eigenen Wut, im Zorn des Herzens jemanden finden, dem ich klagen kann, wie es um mich steht. Sich die Worte der Psalmen ausleihen, um meine Wut, meine Trauer, meinen Zorn herauszulassen; sie Gott an den Kopf werfen. Der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, ein Jude aus dem heutigen Rumänien, hat das Konzentrationslager in Auschwitz überlebt. Immer wieder hat er betont, dass seine Wut gegen Gott auch dort immer innerhalb seines Glaubens getobt habe. Nicht außerhalb.

So findet ein gequältes Opfer einen Adressaten für seine Klage: ‚Gott, wo ist deine Gerechtigkeit? Wie können Täter glauben, sie könnten sich vor dir rechtfertigen für das Ungeheure, das sie tun? Nicht mein ist die Rache. Aber die deine ist sie, mein Gott. Vergiss es nicht. Vergiss mich nicht.‘ 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.06.2022
Eberhard Hadem