Menschenwürde

Wort zum Tage
Menschenwürde
24.10.2018 - 06:20
07.09.2018
Eberhard Hadem
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Für mich hat jeder Mensch zwei Ursprünge, von denen er herkommt. Zunächst ist jeder Mensch ein Kind von anderen Menschen. Er kommt von Großeltern und Eltern her, geworden in der Mutter und von ihr geboren. Schon im Mutterleib ist jeder kleine Mensch auf verborgene Weise Teil einer größeren Geschichte. Geschichte, Herkunft, Ursprung – dieser Blick verbietet es, Menschen als Objekte und Ressourcen zu sehen, der Verfügungsgewalt anderer ausgeliefert. Jeder Mensch ist ein Geschöpf, das von anderen Geschöpfen herkommt. Das ist der eine Ursprung des Menschen. Und darin deutet sich der zweite Ursprung an, an den ich glaube: Bei Gott, der den Menschen geschaffen hat nach seinem Ebenbild. ‚Ebenbild‘ bedeutet, dass jeder Mensch ein von Gott gewollter, geschaffener und geliebter Neuanfang ist, nicht festgelegt durch seine biologische Herkunft von den Eltern, und auch nicht festzulegen durch Erziehung und Umstände. Menschenkinder sind geschaffen nach Gottes Bild, sagt die Bibel. Es darf deshalb nicht die Aufgabe von Menschen sein, andere nach ihrem eigenen Bild zu formen. Eltern sollen das nicht mit ihren Kindern tun, Lehrer nicht mit ihren Schülern und Regierende nicht mit ihren Bürgern. Das Leben jedes einzelnen Menschen ist unverfügbar. Nicht wir selber dürfen definieren, welches Menschenbild gelten darf. Was Menschsein bedeutet, versuchen wir immer wieder durch unsere Bilder, durch unsere Sichtweisen zu bestimmen. Dass Gott Menschen nach seinem Bild schuf, heißt aber auch, dass uns Menschen die Definition des Menschen entzogen ist. Deshalb kann auch das sogenannte christliche Menschenbild nur eine Hilfskonstruktion sein, die im besten Fall die Richtung andeuten kann, wie wir Menschen verstehen können als von Gott gewollt und gemeint. Darin besteht die Menschenwürde: dass wir nicht festlegen oder definieren dürfen, was ein Mensch ist. Das gilt auch für meine Ansichten und Sichtweisen, für das Bild, das ich vom Menschen habe. Der Dichter Max Frisch (Tagebuch 1946 – 1949) nennt den Menschen einmal „ein Geheimnis, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat. Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist.“ Max Frisch meint das zweite der Zehn Gebote: Du sollst dir kein Bild machen (Ex. 20,4). Der Mensch darf nicht herabgewürdigt werden auf die Sichtweisen, die er von sich selbst hat. Der Gedanke, dass der Mensch das Ebenbild Gottes ist, hat also ein enorm kritisches Potential gegen jede Herrschaft von Menschen über Menschen, die sich absolut setzt. Gott sei Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.09.2018
Eberhard Hadem