Mit Furcht kommt man auch nicht weiter

Wort zum Tage
Mit Furcht kommt man auch nicht weiter
von Domprediger Michael Kösling, Berlin
01.09.2016 - 06:23
07.09.2016
Domprediger Michael Kösling

Heute vor 77 Jahren: Der Zweite Weltkrieg begann mit dem Überfall auf Polen. Dieser Satz: Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Er hat sich eingebrannt in das Gedächtnis von Generationen. In diesem Satz lag schon die ganze schreckliche Wirklichkeit verborgen. All das Elend. All die Not. All die Toten. 60 Millionen wird man zählen nach fast 6 Jahren Krieg. Die Menschen von damals konnten sich ihr ganzes Leben lang erinnern, wo sie waren, als sie diesen Satz im Rundfunk hörten. Ich selbst erinnere mich nicht, wann ich diesen Satz zum ersten Mal gehört habe. War es mein Großvater, der ihn aussprach? Wie lange ist das her? Ich habe den Dienst an der Waffe verweigert. Stattdessen habe ich Kranke und Alte gepflegt. Die meisten haben wenig erzählt vom Krieg. Die freuten sich auf ihr Wurstbrot am Morgen und dass einer das Klo saubermachte. Aber vielleicht stimmt das auch nicht. Der Krieg brach dann doch in mein Leben ein. Das erste Mal im Januar 1991. Ich wachte auf, schaltete das Radio ein und bekam Angst. Die USA und ihre Verbündeten waren in Kuwait einmarschiert. der erste Irakkrieg hatte begonnen. Meine Angst unterschied sich von den diffusen Ängsten vorher. Die Angst war zur Furcht geworden. Die Furcht vor einem Krieg. Du musst dich nicht fürchten. Das ist immer leichter gesagt als getan. Die Furcht vor einem Krieg kam mit den Kriegen immer wieder. Während der Jugoslawienkriege, beim zweiten Irakkrieg, 2003, zuletzt reichte schon die Krise in der Ukraine. Es ist zum Fürchten immer öfter. Die Welt kommt nicht zur Ruhe. Meine Furcht vor Krieg hat sich mittlerweile Verbündete gesucht. Es sind dies: die Furcht vor Terror, die Furcht vor politischen Scharfmachern und die Frucht vor dem Zerfall Europas, dieses einmaligen Friedensraumes. Ach so. Und es ist die Furcht vor Leoparden und Pumas. Ich meine die mit dem Fell aus Stahl und den Krallen aus Eisenketten und den Feuermäulern, die die mächtigen Herren unseres Landes in aller Herren Länder exportieren. Puma, Leopard und Wiesel, als wäre man im Zoo. Und als würden aus denen in Saudi-Arabien Pflugscharen, Sämaschinen und Traktoren. Als würden dort Schwerter zu Pflugscharen. Ich merke: Mit Furcht kommt man auch nicht weiter. Es ist dieser Satz, den ich hören möchte und an den ich mich erinnern möchte jeden Morgen: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. In diesem Satz der Bibel ist eine andere Wirklichkeit schon enthalten. Jeden Tag hat unsere Welt es verdient, dass wir uns um sie kümmern. Ohne Furcht. Im Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

07.09.2016
Domprediger Michael Kösling