Mut zu Widerspruch und Widerstand

Wort zum Tage
Mut zu Widerspruch und Widerstand
01.08.2018 - 06:20
20.06.2018
Rainer Stuhlmann
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Jonatan war ein Mensch mit außergewöhnlichem Mut. In der Bibel wird erzählt, wie er oft beherzt wagte, wozu die Mehrheit zu feige war. Sein Mut war Ausdruck seines Vertrauens in Gott „Es ist dem Herrn nicht schwer, durch viel oder durch wenig zu helfen“ (1. Samuel 14,6). Das war so etwas wie das Lebensmotto dieses Jonatan. Wo die große Hilfe ausbleibt, entdeckt Jonatan die kleinen Möglichkeiten. Was die Mehrheit in die Verzweiflung treibt, macht ihm Mut und manchmal sogar Übermut, zu tun, was er kann, statt zu bedauern, was er nicht kann.

 

Mich erinnert Jonatan an ein Plakat. Ein Foto aus den dreißiger Jahren in Deutschland. Eine unüberschaubare Zahl von Menschen dicht gedrängt auf einem riesigen Gelände. Alle erheben die rechte Hand zum sogenannten Deutschen Gruß. Man hört sie geradezu „Heil Hitler“ grölen. Auf dieses Foto ist ein großer gelber Kreis gezeichnet, der den Blick in seine Mitte richtet auf einen einzigen Mann unter Tausenden, dessen rechte Hand nicht erhoben ist.

Einer verweigert den Hitlergruß, für alle seine Nachbarn sichtbar und provokativ. Einer schwimmt gegen den Strom. Einer schert aus, aus der Herde der Mitläufer und Weggucker. Einer hat den Mut des Jonatan. Auch ein kleines Zeichen des Widerspruchs und Widerstands kann beitragen zur großen Hilfe, die von Gott kommt.

 

Ich wünschte mir das Foto in deutschen Schulbüchern. „Da kann man ja doch nichts machen“, höre ich so oft von Jugendlichen und Erwachsenen. Es ist das Bekenntnis der Gottlosigkeit. Diese Haltung, die lähmt und blind macht für die kleinen Zeichen des Möglichen. Wenn Widerspruch und Widerstand in Nazi-Deutschland möglich war, wie viel mehr im demokratischen Deutschland!

Ich habe das Foto aber nicht in einem deutschen Schulbuch gefunden, sondern in Israel in der ältesten Gedenkstätte für die Opfer des Holocausts und des Warschauer Aufstandes. Die israelischen Pädagoginnen und Pädagogen nutzen es bei ihrer Arbeit mit jüdischen und palästinensischen Jugendlichen. Die auf hebräisch und arabisch so oft sagen „Da kann man ja doch nichts machen“. So ermutigen die Pädagogen die nächste Generation, sich ein Beispiel an Jonatan zu nehmen. Auszusteigen aus dem Trott der Alten, die festgefahrenen Argumentationsmuster zu verlassen und neue Wege zu gehen, aufeinander zu. Gegen den Mainstream im Land zu agieren und zu argumentieren. Sie sagen: Wenn Widerspruch und Widerstand in Nazi-Deutschland möglich war, wie viel mehr im demokratischen Israel!

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Rainer Stuhlmann