Rhinozeros

Wort zum Tage
Rhinozeros
19.06.2018 - 06:20
07.03.2018
Hannes Langbein
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Man nehme: einen Esel, eine Schildkröte und einen Elefanten – und fertig ist das Rhinozeros!

So oder so ähnlich muss es sich Albrecht Dürer vorgestellt haben, als er 1515 in Nürnberg die Sensation des Jahres in einem Holzschnitt porträtierte: Ein indisches Panzernashorn war im Frühjahr desselben Jahres von Indien nach Lissabon als Geschenk an den portugiesischen König eingeschifft worden und hatte dort und in ganz Europa für großes Aufsehen gesorgt. Dürer selbst hatte nie in seinem Leben ein Rhinozeros gesehen – weshalb er sich bei seinem Porträt auf einen Bericht des portugiesischen Kaufmanns Valentin Fernandes verließ. Der beschrieb das Fabeltier in einem Brief mithilfe von allerlei Tiervergleichen: Ohren wie ein Esel, Füße wie ein Elefant und ein Panzer wie eine Schildkröte...

 

Auch wenn diese Beschreibung und das auf ihrer Grundlage angefertigte Bild nur sehr bedingt dem wirklichen Aussehen des exotischen Tieres entsprachen: Das Bild verbreitete sich in Windeseile – selbst in wissenschaftlichen Publikationen, Lexika und Enzyklopädien. Schließlich handelte es sich um ein Dürer-Bild und schließlich hatten die allermeisten seiner Zeitgenossen keine Chance, das Bild anhand eines lebendigen Exemplars auf seine Wirklichkeitstreue hin zu prüfen. Ohnehin wäre der Faktencheck schon damals nicht mehr so einfach möglich gewesen. Denn das Tier erlitt wenig später Schiffbruch und ertrank, als es der portugiesische König als Gunsterweis an den Papst nach Rom weiterreichen wollte.

 

Selig sind, die nicht sehen und doch glauben? – Jedenfalls zeigt sich am Beispiel des Dürerschen Mischwesens, wie sehr uns Bilder an den Augen herumführen können: Bildern glauben wir leichter als Worten, weil Bilder nicht nur etwas bezeichnen, sondern ein Stück Realität vor Augen zu stellen scheinen, selbst dort, wo keine Realität vorhanden war. – Nicht umsonst erinnern uns Bildwissenschaftler immer wieder an die Notwendigkeit, kritisch zu sehen und hinter die Kulissen der Bildermacher zu schauen, den Bilderfaktencheck zu machen. Daran erinnerten übrigens auch schon die Reformatoren, als sie den Realitätsgehalt der kirchlichen Kult- und Heiligenbilder hinterfragten und sinngemäß empfahlen:

 

Selig sind, die sehen und doch nicht glauben! Selig sind, die nicht alles für wahr halten, was sie sehen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.03.2018
Hannes Langbein