Sehnsucht

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash / Dirk Martins

Sehnsucht
von Sabrina Fabian
15.11.2022 - 06:20
01.08.2022
Sabrina Fabian
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Wenn ich gefragt werde, wo mein Glauben an Gott eigentlich herkommt, dann ist das Erste, was ich antworte: Sehnsucht.
Vieles fängt mit Sehnsucht an. Wir fühlen uns hingezogen und da ist auf einmal eine Idee in unsere Köpfe gepflanzt: Wir könnten dabei sein, wir könnten es werden, wir könnten es machen. Und schon hängen wir einem Traum nach. Und der steckt dann so tief in uns, dass gar nicht mehr so klar ist, was eigentlich zuerst da war: Ich? Der Traum? Ich im Traum? Mit Sehnen hat es jedenfalls angefangen.

Viel deutlicher kann ich nicht sagen, woher mein Glaube an Gott kommt. Der war irgendwie immer da.
Und da bin ich in guter Gesellschaft. Der Beter des 42. Psalms findet anschauliche Bilder für seine Sehnsucht:

Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott.
Wann werde ich dahin kommen,
dass ich Gottes Angesicht schaue?

Ein tiefgehendes Sehnen spricht oder besser: schreit aus diesen Versen. Sie deuten schon darauf hin, dass es nicht leicht werden wird.
Denn Sehnsucht ist so viel mehr als ein Antrieb, Sehnsucht ist vielfältig.  Die hebräische Sprache, in der die Psalmen ursprünglich verfasst sind, kennt sogar fünf Wörter für Sehnsucht.
Sich zu sehnen kann vielfältig, auch zwiespältig sein: Wenn ich mich sehne, gebe ich immer etwas über mich preis. Mein Sehnen legt offen, was mir noch fehlt. So ergeht es auch dem Psalmbeter:

Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,
weil man täglich zu mir sagt:
Wo ist nun dein Gott?

Den anderen zeigt der Psalmbeter: Ich glaube an Gott und ich stütze mich auf ihn. Das führt zur Gegenfrage: Wo ist nun dein Gott? Das wird ihm geradezu vorgehalten.
Sehnsucht legt Wünsche frei.  Und sie stellt Fragen: Wie kann ich dabei sein? Was hilft mir, so zu werden? Wo sollte ich hin, um das zu machen?
Die Sehnsucht reicht sich aber auch die Hand mit der Angst, dass das Ersehnte nicht eintreffen wird. Vielleicht sogar nie.

Ich frage mich: Geht es Gott eigentlich genau so, wie mir und wie dem Verfasser des Psalms? Sehnt Gott sich auch?
Und ich lese: Schon am Anfang, unmittelbar nachdem sie vor ihm geflohen sind, sucht Gott wieder nach seinen Menschen. „Wo bist du?“, fragt er, als sich Adam und Eva verstecken. Im Modus des Sehnens fragt Gott.  Gott sucht, sehnt sich, verzehrt sich. Es hilft alles nichts, Adam und Eva müssen das Paradies verlassen. Und es beginnt eine lange Geschichte des Sehnens zwischen Gott und Menschen.

Es gilt das gesprochene Wort.

01.08.2022
Sabrina Fabian