Todesberg

Wort zum Tage
Todesberg
02.02.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen

„Johann und ich gehen jetzt zum Todesberg“, steht in der WhatsApp-Nachricht von meiner Tochter. Ich bin noch im Büro, es ist später Nachmittag und wird schon dunkel. „Todesberg“, das klingt nicht nur beunruhigend, das ist es auch. Denn der Todesberg ist der wirklich steile Rodelberg bei uns im Wald. Eine Piste mit natürlichen Schanzen, von Bäumen gesäumt und natürlich auf einer – zum Glück wenig befahrenen – Straße endend. Das Handy nimmt sie mit, schreibt sie. Aber sie hat es sicher im Schneeanzug verstaut und wird nicht mehr draufgucken, das weiß ich. Panische Rückrufaktionen per WhatsApp würden gar nicht erst gelesen.

 

Dass die Möglichkeiten der Kommunikation via Smartphone von Eltern auch genutzt werden können, um ihre Kinder durchgehend zu überwachen, habe ich schon öfter gelesen. „Kidstracking“ nennt sich das. „Übersicht über ihre Lieben dank Handyortung“ wirbt die Internetseite, „sanfte und sichere Kontrollmöglichkeit“. Die würde mir jetzt aber auch nichts nützen. So ein einsamer Punkt im Wald kann einen eher ja noch mehr beunruhigen.

 

Also doch lieber gleich „Geofencing“? Das ist die Möglichkeit, Gebiete und Wegstrecken zu markieren, in denen sich das Kind aufhalten darf. Überschreitet oder verlässt es die markierten Bereiche, bekomme ich eine SMS. Bedingt hilfreich, denn ich kann hier gerade nicht weg.

 

Also stecke ich mein Smartphone weg und denke an früher. In meiner Kindheit lag der einzig nennenswerte Rodelberg weit außerhalb unseres Dorfes. Er endete in einem Graben, der nicht immer zugefroren war. In jeder Saison holte sich einer nasse Füße, mindestens einmal kriegte man einen Schlitten ins Kreuz. Wir durften trotzdem immer rodeln gehen. „Wenn es dunkel wird, kommt ihr wieder“. Mehr hat meine Mutter nie dazu gesagt. Und auch meine Kinder sind neulich wohlbehalten vom Todesberg zurückgekehrt.

 

Als Mutter lerne jeden Tag, was Mutter-Sein, Eltern-Sein bedeutet. Die Angst um meine Kinder ist die andere Seite meiner Liebe zu ihnen. Es gibt das eine nicht ohne das andere. Meine Freundin sagt es so: „Erziehung ist Kontrollverlust und Gottvertrauen“. Kontrollverlust ist schwer, gerade in Zeiten von Kidstracking per Smartphone. Und Gottvertrauen ist auch nicht so einfach. Für beides braucht man Mut. Ich würde sagen: Das ist mein persönlicher Todesberg als Mutter. Aber auch da ist es genau wie beim Rodeln: Der Moment nach dem Loslassen, der ist grandios.

11.01.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen