Verzeihen macht heiter

Wort zum Tage
Verzeihen macht heiter
16.08.2016 - 06:23
16.08.2016
Pfarrer Michael Becker

Sogar der Kaiser hat gelacht, Wilhelm der Zweite. Mit ihm lachte ganz Deutschland. Zeitungen erzählen vom Schuster Wilhelm Voigt. Der hat sich eine Uniform gekauft. Schon ist er Hauptmann. Er holt sich Soldaten von der Straße. Zieht nach Köpenick. Will endlich einen Pass. Nur einen Pass. Wer den hat, kann eine Wohnung mieten. Der Schuster hat keinen Pass. Man schickt ihn von hier nach da. Da platzt ihm der Kragen. Im Gefängnis hat er Uniformen studiert. Jetzt kommt seine große Stunde. Er wird der „Hauptmann von Köpenick“.

 

Wir lachen darüber. Der Hauptmann war verzweifelt. Er wollte ein guter Mensch werden. Mit Wohnung und Pass. Wenn ich vor Gott stehe, hat er gesagt, wenn ich einmal vor Gott stehe, fragt der mich: Wilhelm, was haste gemacht mit deinem Leben? Dann sage ich: Fußmatten hab ich gemacht, im Gefängnis. Dann sagt Gott: Wilhelm, dafür hab ich dir‘s Leben nicht geschenkt. Der Schuster war verzweifelt. Er wollte ein anständiger Mensch werden. Mit Pass und Wohnung. Er wollte ‘was machen aus seinem Leben. Er wurde der Hauptmann von Köpenick. Man lacht heute noch über den Film, der heute vor 60 Jahren in die Kinos kam. Aber traurig ist es auch. Einmal ein schlechter Kerl, immer ein schlechter Kerl. Keine zweite Chance. Alles muss fleißig und ordentlich und sauber sein. Im Garten, an den Uniformen, in den Köpfen. Alles deutsch und viereckig. Und Gott ist ein Deutscher. So dachte man. Aber so ist das nicht. Menschen passen nicht in Kleinkariertes. Sie machen Fehler. Sie irren sich. Sie tun anderen weh oder verletzen sich. Sie fangen von vorne an. Menschen brauchen oft lange, um besser zu werden.

 

Gott hat Geduld. In Gottes Garten lebt manches Unkraut. Blumen wachsen wild durcheinander. Kaum Vierecke, wenig gerade Linien. Und trotzdem ist alles schön. Das kommt von der Vergebung. Ohne Verzeihen kann ich nicht leben. Keinen Tag. Andere auch nicht, glaube ich. Weil selbst der Kaiser gelacht hat, wird dem Schuster verziehen. Er bekommt seinen Pass. Hat nur noch eine Bitte: er will einen Spiegel. Da sieht er sich in Uniform. Verzeihen macht heiter. Er lacht, schüttelt sich, lacht laut und immer lauter – über sich. So hat Gott ihn am liebsten.

16.08.2016
Pfarrer Michael Becker