Vom wahren Reichtum

Wort zum Tage
Vom wahren Reichtum
23.05.2016 - 06:23
11.01.2016
Pastor Dietrich Heyde

Jetzt kommen sie wieder wie auf ein geheimes Zeichen hin und durchbrechen das Erdreich – die zarten Lupinen. Niemand hat sie gesät oder gepflanzt. Doch sind sie mehr als eine Laune der Natur. Eine unsichtbare Hand hat ihnen Ort und Zeit bestimmt. Schön sind die Pflanzen in freier Wildbahn. Sie lassen sich genügen am Licht, wenn es nur spärlich durch hohe Bäume rieselt. Sie sind nicht beleidigt, wenn sie unbeachtet bleiben, und nicht stolz, wenn sie bewundert werden. Sie sind nur einfach da und leben versöhnt mit sich und dem Erdreich unter einem weiten Himmel, der gibt und nimmt. Werden wir gewahr, dass die Natur mit Sonne, Wind und Regen, mit Flüssen und Wäldern der wahre Reichtum des Menschen sind?

 

Doch die Menschen haben sich einen neuen Planeten geschaffen. Einen, der sich allein ihrem eigenen Geist und ihren Händen verdankt. Viele suchen ihr Glück nicht in dem, was die Natur zu geben hat, sondern in ihrer eigenen Kunstfertigkeit. Sie sehen nur noch, was sie selbst ersonnen, erfunden und hergestellt haben und halten das für ihren Reichtum.

 Schon vor vierhundert Jahren schrieb der Philosoph Michel de Montaigne in seinen Essais, er misstraue den Erfindungen unseres Geistes, unserer Wissenschaft und unserer Kunst, um derentwillen wir die Natur und ihre Lehren in den Wind geschlagen haben und in denen wir weder Maß noch Ziel zu halten wissen.“[1] „Es ziemt sich nicht“, sagt er, „unserer großen und mächtigen Mutter Natur die Ehre streitig zu machen. Wir haben die Schönheit und den Reichtum ihrer Werke mit unseren Erfindungen dermaßen überladen, dass wir sie ganz erstickt haben.“[2]

 

Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma? Wie kommen wir dahin, unseren wahren Reichtum wieder zu entdecken? „Ehrfurcht“ ist, auf ein Wort gebracht, der Weg, den uns die Bibel zeigt: Ehrfurcht ist ein tiefes Wissen um die kreatürliche Würde aller Dinge und um ihren Wert für Gott. Sie ist der Anfang der Weisheit. (Psalm 111,10) Ehrfurcht lehrt uns das dankbare Staunen und befähigt uns: In kleinen Dingen den Anfang einer unendlichen Bedeutung zu spüren und im Sturm des Vorübergehenden die Dinge des Ewigen zu erfahren.[3]

 

[1] Michel de Montaigne, Essais, Manesse Verlag Zürich, S. 579

[2] Michel de Montaigne, a.a.O. S. 231

[3] Abraham Joshua Heschel, Gott sucht den Menschen, Neukirchener Verlag 1980, S. 58

11.01.2016
Pastor Dietrich Heyde