Wie Gott mich sieht

Wort zum Tage
Wie Gott mich sieht
09.06.2017 - 06:20
07.06.2017
Pfarrer Eberhard Hadem

Der irische Dichter und Schriftsteller C.S. Lewis hat in der Trauer um seine verstorbene Frau einen Gedanken gefasst, der am Ende eine überraschende Wendung bekommt: Das Leben eines Menschen sei ein Buch. Sein irdisches Leben mit allen Erfahrungen und Erlebnissen sei allerdings komplett schon auf der Titelseite aufgeschrieben worden. Da ist festgehalten, wie dieser Mensch selbst sein Leben sieht, wie er es versteht; sozusagen sein persönliches irdisches Tagebuch. Es ist ein großes Buch, mit einer großen Titelseite, auf der genügend Platz ist, um alle Lebenstage und Erfahrungen aufzuschreiben.

 

Unbeirrt von den Einsprüchen anderer hält der Mensch dort mit seinen eigenen Worten fest, wie er selbst sein Leben beurteilt – und wie er es beurteilt sehen möchte. Und wenn es manchmal nicht so ganz klar wird, wie er bewerten soll, was er gelebt hat, so schreibt er dort auf, was ihn motiviert und angetrieben hat; seine Beweggründe und seine Ziele. Der Mensch ist frei, sein Leben, ganz so wie er es sieht, aufzuschreiben, seine Urteile über sein Leben festzuhalten.

 

Mit jedem gelebten Tag füllt sich die Titelseite seines Lebensbuches etwas mehr. Und wenn der Mensch dann eines Tages stirbt, wird im Himmel vor seinen Augen dieses dicke Buch aufgeschlagen – und darin sind lauter leere, unbeschriebene Seiten zu sehen! Denn jetzt kommen Gott und Mensch ins Gespräch darüber, wie Gott das irdische Leben dieses Menschen gesehen hat. Und dafür ist viel Platz, so dass der Mensch aufschreiben kann, wie Gott sein Leben sieht.

 

So stelle ich mir vor, wie auch ich eines Tages Gott gespannt zuhören werde, wie er mein Leben sieht und neu erzählt. Und wie ich das alles auf die blanken leeren Seiten meines Lebensbuches aufschreibe. Nicht kaufmännisch in Haben und Soll, sondern als meine Geschichte, gesehen mit den Augen Gottes. Ich vermute, dass ich staunen werde; manchmal sogar ungläubig staunen werde. Manchmal werde ich es kaum glauben können, was ich höre und aufschreibe. Manches Erschrecken wird auch da sein. Aber auch manche Überraschung wird für mich im Himmel aufgeschrieben werden.

 

Nichts wird weggelassen. Alles ist da – und oft vermutlich anders, als ich selber es sehe. Und auch anders, als andere Menschen mich sehen und mich im Rückblick beschreiben würden. Wenn ich gestorben bin, spricht Gott mit mir über mein Leben. Dass auf diese Weise mein Leben im Himmel vollendet wird, darauf hoffe ich. Und ich bin C.S. Lewis dankbar für seine starke Idee mit diesem großen Lebensbuch.

07.06.2017
Pfarrer Eberhard Hadem