Wir- ein heikles Wort

Wort zum Tage
Wir- ein heikles Wort
12.03.2019 - 06:20
07.02.2019
Melitta Müller-Hansen
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Das kleine Wörtchen „wir“ hat es in sich, finde ich. Wer ist „wir“ im Radio? Alle die gerade zuhören? Oder wir Christen – wer soll das sein? Es gibt Konfessionen und Gruppierungen, von denen ich gar keine Ahnung habe. Wir – das sogenannte jüdisch-christliche Abendland. Ein besonders heikles „Wir“. Abgrenzend gegenüber den Muslimen, denn dazu wird es ja meist ins Feld geführt. Und vereinnahmend gegenüber jüdischen Menschen, die nach einer langen bitteren Geschichte der Verfolgung zurecht fragen, wann und wo das stattgefunden haben soll, das jüdisch-christliche Abendland.

Wer ist WIR? In Europa gibt es eine Bewegung, die das Wir betont. Sie gibt vor, mehr auf Gemeinschaft und Zusammenleben aus zu sein, weniger egoistisch als die, die immerzu Ich sagen. Doch es ist ein Wir, das sich aus Nationalismen speist. Gleiche Hautfarbe, gleiche Ahnen und Helden, ein Wir des Stolzes. Ein Wir, das abschottet und Grenzen zieht und von Sicherheiten träumt, die Zäune und Mauern brauchen. Ein großes gruppenegoistisches Wir. Oft mit Neigung zur Gewalt. Ein Wir, in dem das Ich wenig zählt.

Der Jesus des Johannesevangeliums beginnt mit dem ICH. Sieben Mal. Ich bin – Brot. Weinstock. Licht. Hirte. Ich bin Weg, Wahrheit, Leben. Auferstehung. Ich bin die Tür. Starke Bilder des Lebens. Ich kann Jesus darin von sich selbst und nur von sich allein so sprechen hören. Ja, in ihm war das Leben und Gott selbst wohnte in ihm. Doch ich möchte die Bildworte des Johannesevangeliums darüber hinaus als Motivation verstehen, im Geist Jesu ‚Ich‘ zu sagen. Und dem anderen Brot sein statt harter Stein. Selbst mal eine offene Tür zu Gott sein für andere, keine verschlossene Pforte. Durch mich kann etwas vom göttlichen Geist in die Welt kommen.

Es ist, als würde sich etwas weiten und ein Freiraum entstehen. So geht es mir, wenn ich versuche, in dieser Weise „Ich“ zu sagen. Die Fixierungen auf mich selbst und auf all das, was ich von mir weiß und erzählen kann, auch auf all das, was ich aus mir machen will, hören auf. Ich gewinne Leben und Freiheit. Dieses Ich ist ein geschenktes und ist ohne ein Du nicht zu haben. Denn Brot, Licht, Weg, Hirte kann ich nicht für mich selber sein, der andere ist immer schon dabei. Daraus wird der größere Traum von Zusammenleben. Eine Gemeinschaft von Menschen, die in dieser Weise Ich sagen und zu neuen Formen des Wir finden.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2019
Melitta Müller-Hansen