Wer Gott gegen sich hat

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Pixabay/Skiper

Wer Gott gegen sich hat
mit Pfarrer Eberhard Hadem
24.08.2022 - 06:20
11.06.2022
Eberhard Hadem
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Ein traurig-schöner Psalm der Bibel beginnt mit dem Kummer von Flüchtlingen über die verlorene Heimat. An den Wassern zu Babylon saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden im Lande. (Ps. 137,1+2)

Der Psalm 137 wird aus der Perspektive der Opfer gebetet, mit der Erfahrung einer tiefen Demütigung: Jüdische Gefangene im Exil in Babylon erinnern sich an die Zerstörung Jerusalems, sie denken an den Berg Zion, sie denken an den geschleiften Tempel – für sie der Inbegriff von Heimat: Wo Gott selbst zuhause ist. Wo sie ihn angebetet und ihm Loblieder gesungen haben. Alles weit weg, alles kaputt. Und die Peiniger, die den Tempel zerstört haben und die Israeliten in Babylon gefangen halten, machen sich lustig über sie (Ps. 137, 3+4):

Die uns gefangen hielten, wollten, dass wir singen und in unserm Heulen fröhlich sind: ‚Singet uns ein Lied von Zion!‘ – Wie könnten wir des Herrn Lied singen in fremdem Lande?

Wer die Harfen an die Weiden hängt, macht sie unbrauchbar. Sie sind nutzlos geworden: Wofür sollen sie aufspielen? Wozu singen? Eine hilflose, ohnmächtige Geste des Protests zeigt die Zwangslage, in der sie stecken. Es macht einen wesentlichen Unterschied, aus welcher Perspektive gebetet wird: Dient das Beten der Rechtfertigung eines überlegenen Aggressors? So wie der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill für Putins verbrecherischen Krieg betet? Ein Starker, der um den Sieg bittet? Oder entspringt es der ohnmächtigen Wut eines unterlegenen Opfers? Schutzlos ausgeliefert zu Gott rufen, sich Hilfe wünschen, weil das Recht mit Füßen getreten wird, so geht es den Betenden. Ich glaube, dass Gott auf der Seite der Armen und Unterdrückten steht. Dass also Menschenverachtung und ein Krieg, um den alten Traum von einem Großreich wiederzubeleben, Gott gegen sich haben.

Die verfolgten Jesiden im Irak, das unterdrückte Volk der Uiguren in China, die Ukrainer jetzt – sie und andere wissen, wie es ist, Opfer zu sein. Wie könnte ich, der ich in einem seit 77 Jahren überwiegend friedlichen Westeuropa lebe, ermessen, in welcher Situation diese schrecklich verfolgten Menschen tatsächlich stecken?

Ich mache mir klar: Der Wunsch, Gott möge ein Gott der Rache sein, Vergeltung üben und die Feinde vernichten, ist vor allem ein Schmerzensschrei von Menschen, die unter der Gewalt von Aggressoren unendlich leiden. Ich höre Hilferufe aus Verzweiflung. Diese will ich nicht überhören. Auch wenn sie mein Gottesbild in Frage stellen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.06.2022
Eberhard Hadem