Kräftig sieben

Wort zum Tage
Kräftig sieben
14.08.2020 - 06:20
06.08.2020
Diederich Lüken
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Eines Tages kam einer zu Sokrates und war voller Aufregung. „Sokrates, hast du das gehört, was dein Freund getan hat? Das muss ich dir gleich erzählen.“ – „Moment mal“, unterbrach ihn der Weise. „hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“ – „Drei Siebe?“ fragte der andere voller Verwunderung. „Ja, mein Lieber, drei Siebe. Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“ – „Nein, ich hörte es irgendwo und…“ - „So, so! Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst - wenn es schon nicht als wahr erwiesen ist -, so doch wenigstens gut?“ Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegenteil...“ - „Aha!“ unterbrach Sokrates. „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich erregt?“ – „Notwendig nun gerade nicht ...“ – „Also“, lächelte der Weise, „wenn das, was du mir da erzählen willst, weder erwiesenermaßen wahr, noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“
Da wird also kräftig gesiebt. Wahrheit, Güte und Notwendigkeit müssen einem Reden über andere zu eigen sein. Aussagen, die auch nur eines dieser drei Siebe nicht passieren können, sollte man lieber für sich behalten.

Wo Menschen zwanglos zusammen sind, wird in der Regel geplaudert. Das fängt oft beim Wetter an, geht über zur Politik und landet endlich bei einem weiteren Lieblingsthema: andere Leute. Person für Person wird durchgehechelt, oftmals mit einem hämischen Unterton. Die drei Siebe des Sokrates sind da meistens in weiter Ferne. Wenn man jedes Wort durch diese Netze ziehen wollte – was bliebe da noch übrig für die Plauderei? So wird munter weiter über andere Leute hergezogen, die sich nicht dagegen wehren können. Mit der Wahrheit kann man es da nicht so genau nehmen. Der Dichter Wilhelm Busch hat das in einem launigen Gedicht so ausgedrückt:

Wenn alles sitzenbliebe,
Was wir in Hass und Liebe
So voneinander schwatzen;
Wenn Lügen Haare wären,
Wir wären rau wie Bären
Und hätten keine Glatzen.

Deshalb heißt es im biblischen Buch der Sprüche: „Wo viel Worte sind, da geht’s ohne Sünde nicht ab“ (Sprüche 10.19). Welch treffende Beobachtung!

 

Es gilt das gesprochene Wort!

06.08.2020
Diederich Lüken