Sinn für Details

Wort zum Tage
Sinn für Details
20.11.2020 - 06:20
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Wann will dieser Tag endlich enden, denke ich zunächst. Trotz der schönen Landschaft im Hochland Kenias. Hier werden Mais und Kartoffeln angebaut, Viehwirtschaft betrieben. 
Ich begleite meine Gastgeber bei einem Seminar zu Landkonflikten – zum dritten Mal. Wieder Diskussionen um die Ursachen der Konflikte: Korrupte Behörden, multinationale Konzerne, die viel Land für sich beanspruchen, die Spannungen zwischen subsistenter Landwirtschaft und moderner industrieller Agrikultur. Und es geht wieder um die Bewältigung der Konflikte: klare Konzepte der Landverteilung, gesetzliche Registrierung von Landeigentum, Erbschaftsregelungen, Einführung von Katastersystemen usw. Das höre ich nun zum dritten Mal. Details über Landgesetzgebung und praktische Hinweise zur Landverteilung im Erbschaftsfall. Keine große Friedensvision! Kein rhetorisches Feuerwerk! Kein internationaler Friedenskongress mit dem Bekenntnis zur Versöhnung! Stattdessen das Ein-Mal-Eins von guter verwaltungsmäßiger Landverteilung. Das Katasteramt hier in Kenia als Friedensprojekt. Ist das wirklich Friedensarbeit?
Endlich ist Mittagspause. 
Wir sitzen zusammen und essen gemeinsam: Ugali, Maisbrei – und natürlich Tee. Das tut gut. Noch besser: wir gehen ins persönliche Gespräch. Woher ich denn komme. Aus Deutschland, meine Antwort. Na, dann passt du ja genau hierher. Alle anderen lachen. Auf mein verdutztes Gesicht kommt die Erläuterung: Die Region, in der ich heute zu Besuch bin, gehörte einst einem deutschen Farmer mit Namen Winkler. Bis 1969 bewirtschaftete er das Land. Die Großeltern meiner Gesprächspartner haben noch für ihn gearbeitet. Nach seinem Tod gab die Familie das Land an die Bevölkerung zurück. Die Menschen schlossen sich zur einer Produktionsgenossenschaft zusammen: kein Tee, wenig Kaffee, stattdessen Mischlandwirtschaft. So können alle von den Erträgen des Landes leben. So sollte es jedenfalls sein. Immer wieder kommt es zu Streitereien, wer wieviel Land beanspruchen darf; manchmal zu Gewalt, manchmal sogar zu Unruhen. Kein Wunder: Landbesitz und Zugang zu Wasser bedeutet Leben.
Deshalb also dieses Seminar. Deshalb die Gespräche und Diskussionen über Details der Landverteilung. An diesem Tag lerne ich: ja, genau so sieht Friedensarbeit aus: Kleine Schritte gehen, realistisch, sorgfältig, mit Sinn für Details. Dazu braucht es Expertise, Geduld und einen langen Atem.
Gut, dass meine Gastgeber diesen langen Atem haben – und den Sinn für Details.