Zeig mir deine Welt

Wort zum Tage
Zeig mir deine Welt
29.09.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrerin Johanna Friese

Wer eine Stadt entdecken möchte, lässt sie sich gern von einem Stadtführer zeigen. Ein außergewöhnliches Angebot gibt es mitten in Berlin.

 

Lamiya trägt ein blau-pinkes Kopftuch, ihr Kollege Ariel einen ausgeblichenen Strohhut. Sie sind interreligiöse Stadtführer.

 

Beide lachen viel, erzählen mit großen Gesten. Gespannt warten sie auf die nächste Frage aus der Gruppe. Sie haben ein Buch und einen Kartenstapel mit vielen Notizen dabei. Denn drei Stunden führen sie Berlin-Besucher und Interessierte durch Berlin-Neukölln.

 

Lamiya ist Muslimin aus Aserbaidschan und Ariel ein Israeli, der ansonsten als Schauspieler arbeitet. „Eine Safari zur religiösen Vielfalt in Neukölln“, nennen sie ihre Stadtführung. Sie zeigen nicht die großen Sehenswürdigkeiten, sondern die versteckten religiösen Orte. Und davon gibt es reichlich in dieser Stadt, die nicht gerade als spirituell gilt. Und doch:

Ein hinduistischer Tempel in einer Sporthalle. Spuren jüdischen Lebens vor 1933. Was hat die Neuapostolische Kirche mit einer Moschee zu tun? Wo singt eine jüdische Kantorin und wo tanzt ein muslimischer Sufi-Derwisch? Von all dem erzählen die beiden interreligiösen Stadtführer und ich spüre, was sie begeistert.

 

Ich sehe Berlin mit anderen Augen und lerne noch mehr als das: Verschiedene Religionen oder eine andere Herkunft sind nicht bestimmend für unsere Begegnungen. Immer schon leben wir in einer vielfältigen Welt. So verschieden Religionen auch sind, sollen sie vor allem Räume öffnen fürs Nachdenken. Dass wir uns austauschen und gemeinsam fragen, welche Rolle wir in der großen Menschheitsfamilie spielen. „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“, lese ich im dritten Buch Mose (3. Mose 19,18) in der Bibel. Und das ist der Kern aller Religionen.

 

Zehn junge interreligiöse Stadtführer hat die evangelische Kirche in Berlin-Stadtmitte im Projekt „Zeig mir Deine Welt“ inzwischen ausgebildet. Junge Erwachsene, wie Ariel und Lamiya, mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Wurzeln. Sie zeigen ihre Welt, erzählen, woran ihr Herz hängt und sie träumen von der Zukunft. Häufig zeigen sie Plätze, die zum Gebet einladen und wo Gläubige sich für andere engagieren.

 

Wer sich das genau ansieht, entdeckt, was verbindet. Denn aIs Betende bleiben wir Wartende. Wir hoffen gemeinsam, dass unsere Grenzen nicht das letzte Wort behalten.

 

Gut, dass überall, auch dort, wo man es nicht vermutet, Menschen beten und von sich selbst wegsehen. Damit zeigen sie, dass sie eine neue Welt erwarten.

25.06.2015
Pfarrerin Johanna Friese