Antisemitismus

Antisemitismus
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
19.10.2019 - 23:50
02.01.2019
Dr. Wolfgang Beck

Die Holztür mit den Einschusslöchern an der Synagoge von Halle – immer wieder dieses Bild, Wahnsinn! Viel ist in den letzten Tagen berichtet und auch diskutiert worden, über Rechtsradikale, über Menschen mit fast krankhaften Gewaltfantasien und auch darüber, welche politischen und polizeilichen Konsequenzen zu ziehen sind. Die Holztür an der Synagoge von Halle hat noch Schlimmeres verhindert. Die Einschusslöcher an dieser Tür sind dabei zum Symbol einer Eskalation geworden, in der zwei Menschen durch Hass ihr Leben verloren haben.

 

Fast beiläufig wird dann immer wieder auch darauf hingewiesen, dass Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land immer wieder Beleidigungen und Anfeindungen bis hin zu Gewalttätigkeiten in Wort und Tat ausgesetzt sind. Es ist unfassbar, dass das offenbar mit einem Achselzucken hingenommen wird. Die Ereignisse in Halle sind nun schon zehn Tage her. Und vermutlich hoffen manche, dass sich jetzt so langsam alles wieder beruhigen wird. Zurück zur Tagesordnung eben. Gerade deshalb ist es wichtig, noch einmal auf die Diskussionen und politischen Reaktionen nach der Gewalttat von Halle zu schauen.

 

Antisemitismus gibt es schon lange. Auch in der evangelischen und katholischen Theologie brauchte es lange Zeit um tiefsitzenden Antisemitismus als Problem sehen zu können. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstand so ein veränderter Blick auf das Judentum und setzte sich allmählich durch. Erst nach den Verbrechen der Shoa, der Vernichtung von sechs Millionen Juden in Europa durch Deutsche. Erst nach einer langen Geschichte von Herabwürdigungen, von Ausgrenzungen und Diskriminierungen. Es ist eine lange unheilvolle und schuldbeladene Geschichte Europas und des Christentums. Wer sie ansieht, wird merken, dass es immer wieder zu Gewaltexzessen und Pogromen kam.

 

Und die schlimmen Ereignisse stehen eigentlich immer wieder am Ende einer Eskalation, die mit kleinen Schritten beginnen: Hier mal ein schäbiger Witz über Juden. Da mal eine ehrabschneidende Karikatur oder an den Kirchenportalen eine geschmacklos-lästerliche Skulptur. Für sich genommen sind es Kleinigkeiten. Das wird meist auch als solche abgetan. Aber es sind eben Schritte in die falsche Richtung, kleine Drehungen der Spirale der Eskalation.

 

Diese scheinbaren Kleinigkeiten haben es in sich. Sie sind wirklich toxisch, giftig und lebensfeindlich. Meist werden diese kleinen Schritte von verharmlosenden Kommentaren begleitet: "Man wird doch wohl noch mal einen Scherz machen dürfen", heißt es dann. Oder: "Die sollen da auch mal nicht so überempfindlich sein", wenn mit politischen Statements schon wieder mal Grenzen überschritten werden. Besonders gerne wird auch die israelische Politik kommentiert, die man doch angeblich "auch mal kritisieren müsse". Um es klar zu sagen: Nein, das muss man als Deutscher mit unserer Geschichte nicht! Weder habe ich als Deutscher auszuloten, was Menschen jüdischen Glaubens als Humor empfinden sollten. Noch habe ich die Grenzen des Geschmacks zu bestimmen. Und auch die Kritik an israelischer Politik sollte ich wohl besser anderen Leuten auf dieser Welt überlassen. Sie ist sehr häufig ein Deckmäntelchen für Antisemitismus.

 

Als Christ habe ich mir eben immer wieder bewusst zu machen, dass wir uns auf Jesus beziehen, der durch und durch als Jude aufgewachsen ist, als Jude gelebt und geglaubt hat. Er verstand sich als Teil des großen Bundes, den Gott mit den Israeliten geschlossen hat, ein Bund, der bis heute gilt. Deshalb stehen wir Christen in der Nachfolge Jesu immer in der zweiten Reihe.

02.01.2019
Dr. Wolfgang Beck