Aufrechter Gang

Aufrechter Gang
Pfarrer i.R. Alfred Buß
20.10.2018 - 23:50
12.01.2018
Alfred Buß

Schon im Alter von neun Monaten hätte ich laufen gelernt, sagte meine Mutter. Meine viel älteren Geschwister hätten mich, im Kreis hockend, zu sich gelockt und mir, wo nötig, Hilfestellung gegeben.

Laufen lernte ich früh. Den aufrechten Gang aber muss ich immer noch üben: Nicht stumm bleiben, wenn Menschen auf offener Straße beleidigt werden, nicht untätig verharren, wenn sie bedroht werden oder gar drangsaliert. Dazu muss ich mich aufraffen, immer wieder neu.

Dabei habe ich schon beim Laufenlernen erfahren, dass füreinander Einstehen zum Menschsein gehört. Und zum Zentrum des christlichen Glaubens. Als der Jude Jesus vor 2000 Jahren von einem Mitjuden gefragt wurde, wer denn -bitteschön- sein Nächster sei, erzählte Jesus diese Geschichte vom aufrechten Gang:

Ein Mensch fiel unter die Räuber und wurde halbtot liegen gelassen. Ein jüdischer Priester ging die Straße entlang, sah ihn und ging vorüber. Ebenso ein Levit, der am Tempel Dienst tat. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, ging er zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier, brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.

Samariter waren in den Augen der Juden damals Sektierer, Angehörige einer verachteten Religion.

Wer von diesen Dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war? fragte Jesus seinen jüdischen Glaubensgenossen. Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!

Christentum retten stand jüngst auf Plakaten im bayerischen Wahlkampf. Diese Parole hetzt gegen Muslime und diffamiert Menschen, die heute unter die Räuber fallen. Erzählst du die Samariter-Geschichte in solchem Kontext, bekommst du jetzt Hassmails und Drohungen.

Jesus wurde damals gekreuzigt.

Und erschossen wurde Martin Luther King vor nunmehr 50 Jahren - Pastor, Bürgerrechtler und Vorbild im aufrechten Gang.

Alle Menschen leben in einem großen „Haus der Welt“, rief er aus. „Überwindet die Schranken von Hautfarbe, Klasse, Nation und Religion! Beseitigt das dreifache Übel von Rassismus, Armut und Militarismus! Leistet Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeit. Überwindet Gewalt!“

Kings Aktionen waren strikt gewaltfrei. „Der Geist stammt von Jesus, sagte er, „die Methoden von Gandhi“. Bei Demonstrationen wurde er angespuckt, mit Steinen beworfen, beschossen. Nach jedem Anschlag suchte er das Gespräch mit dem Täter.

Im April 1968 setzte ein Mörder seinem Leben ein Ende.

Da kommt der Träumer, lasst uns ihn totschlagen – steht auf seinem Grabstein, ein Zitat aus der biblischen Erzählung von Josef und seinen Brüdern. Doch - wie sähe diese Welt aus ohne solche Träumer mit aufrechtem Gang?

Martin Luther King vertraute fest darauf, dass wahr wird, was Jesus uns zu bitten lehrte: Vater unser... dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden... Auf dass am Ende nicht die Mörder triumphieren, sondern Frieden und Gerechtigkeit sich küssen.

12.01.2018
Alfred Buß