Das Wort zum Sonntag

Das Wort zum Sonntag
Wutbürger
04.06.2016 - 23:35
18.01.2016
Annette Behnken

Das muss man doch wohl mal sagen dürfen. Den Satz hör ich zurzeit öfter, zusammen mit wütenden, ausfallenden, respektlosen Kommentaren. Offenbar tragen viele Menschen eine Riesenwut mit sich herum. Pöbeleien mit Worten scheinen salonfähig geworden zu sein, auch bei Politikern, Journalisten und öffentlichen Personen. Jüngstes Beispiel: ein Politiker äußert sich zweideutig zu einem Fußballspieler, über seinen Namen, über seine Hautfarbe. Und dann brechen Reaktionen aus Menschen hervor, pro und contra, im Netz ganz besonders ätzend - aggressiv, wütend und weit jenseits jeden Respekts. Alle dreschen aufeinander ein.

Verbale Wutausbrüche, wohin man sieht. Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen. Darf man??

Wut ist das eine. Respekt das andere. Das finde ich so erschreckend: Mit welcher Selbstverständlichkeit mal eben beleidigt und diffamiert wird. Und das dann mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt wird. Nein. Meine Freiheit hört da auf, wo sie die Freiheit und Würde eines anderen verletzt. Oder anders: Du sollst deinen Nächsten lieben, auch wenn Du wütend bist.

Wut runterschlucken ist nicht gut. Das ist klar. Verdrängte Gefühle kommen irgendwann zurück. Und dann oft unkontrollierbar und destruktiv. Das sehen wir ja gerade. Es ist wie ein Dammbruch. Die Wut wird blind. Und damit pauschal und polemisch. Die Asylanten, die Politik, die Lügenpresse, die da oben – so sprechen Wutbürger. ... 

Was ich so gefährlich daran finde, ist, dass sie geschürt und benutzt wird. Von Parteien und Gruppen. Oft mit fremdenfeindlichen Motiven. Das hatten wir schon mal. Jetzt greift es wieder um sich, in einem Ausmaß, dass einem ganz anders werden kann. Wir kennen die Beispiele, in unserem Land. Und auch international. Mit Worten rumpöbeln und blinde Wut schüren

Du sollst deinen Nächsten lieben, auch wenn Du wütend bist.

Ich werde auch wütend. Wahnsinnig wütend, wenn ich verachtende polemische Pauschalurteile höre. Und werde auch blind vor Wut. Aber wenn man das merkt, dass es jetzt nur noch destruktiv wird, was man denkt und sagt und vielleicht tut - dann muss man  aufhören damit, dann muss man sich selbst unterbrechen und, statt blind zu werden genau hinsehen. Das ist ganz schön schwer, wenn`s einen erstmal so mitreisst. Aber nur das hilft: Aufhören und hinsehen, statt blind werden: Was steckt hinter meiner Wut und hinter der des anderen?

Oft ist es Ohnmacht. Und Trauer. Bei denen vielen, die durch die Maschen des sozialen Netzes fallen, an der Grenze zur Armut leben. Und sich von Politik und Gesellschaft im Stich gelassen fühlen. So viel Ohnmacht. Und Trauer. Und dann kommt die Wut.

Hinsehen, statt blind werden. Dann kann die Wut zu einer gerechten Wut werden, die uns einstehen lässt gegen jede fremdenfeindliche Polemik, jeden Angriff auf die Würde von Menschen und gegen die Ungerechtigkeiten eines Systems, das Menschen zu wütenden Verlierern macht.

Du sollst deinen Nächsten lieben, auch wenn du wütend bist. Oder, wie es in der Bibel heisst: : „Zürnt ihr, so sündigt nicht -und dann als goldene Regel - lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“

 

18.01.2016
Annette Behnken