Der Videoassistent

Der Videoassistent
Pfarrer Gereon Alter
14.07.2018 - 23:45

Das Spiel um Platz 3 ist entschieden, morgen folgt das "Endgericht". Dann setzt sich der "Fußballgott" auf seinen Thron und wägt: Wer hat den goldenen Pokal verdient? Nein, ich glaube nicht an den Fußballgott. Zumindest nicht an einen Gott, der sich nur fürs Fußballspielen interessiert. Wenn schon ein Bild aus der Welt des Fußballs, dann eher: der Videoassistent. Gott als einer, der noch mal einen anderen Blick auf uns hat als wir selbst; der auch Dinge sieht, die wir leicht übersehen; und der uns helfen kann, gerechter zu urteilen. Wie ich das meine? Nehmen wir die vergangenen Tage. Da hab ich – wie Sie wahrscheinlich auch – das Höhlendrama in Thailand verfolgt. Zwölf Kinder und ein Betreuer eingeschlossen in einer Höhle. Die Luft wird knapper, das Wasser steigt. Was für ein Drama! Ich habe jeden Tag mitgefiebert. Und obwohl ich die Kinder überhaupt nicht kenne, sind sie mir irgendwie ans Herz gewachsen. Gott sei Dank sind nun alle gerettet!

Dass sich gleichzeitig ein noch viel größeres Drama in Japan abgespielt hat, bei dem Hunderte von Menschen gestorben sind, Tausende Retter im Einsatz waren und Millionen ihre überschwemmten Häuser verlassen mussten: Das alles hab ich kaum wahrgenommen. Denn in meiner Tageszeitung gab es dazu lediglich eine kleine Spalte. Meine Wahrnehmung ist gelenkt, das spüre ich immer wieder. Ob es um die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer geht, um die Hungersnot im Südsudan oder um den weltweiten Terror. Ich nehme wahr, was mir medial vermittelt wird. Und es berührt mich, was andere so aufbereitet haben, dass es mich berührt. Alles andere lässt mich kalt oder erreicht mich erst gar nicht. Und da eben kommt für mich Gott als "Videoassistent" ins Spiel. Als einer, der mir hilft, genauer hinzuschauen. Allein schon der Gedanke daran, dass da einer ist, der noch mal einen anderen Blick auf unsere Welt hat als wir, hilft mir, manches besser einzuordnen. Das ist keine sonderlich fromme Übung, das ist eher ein Prozess nüchternen Nachdenkens. Wenn ich morgens die Zeitung aufschlage, frage ich mich, ob die große Schlagzeile auf Seite eins wirklich die wichtigste Nachricht des Tages ist. Bei Bildern: wie es wohl daneben aussieht. Und bei Kommentaren: Da lese ich gern zwei – möglichst zwei gegensätzliche. Und ich versuche, nicht allzu schnell auf die Betroffenheits- und Empörungsrhetorik reinzufallen, die mir vor allem bei Facebook begegnet. Ich scrolle solche Posts einfach weg.

Das passiert im Alltag, auf dem "Spielfeld" sozusagen. Manchmal aber gehe ich auch ganz bewusst vom Platz, um mal direkt mit meinem "Videoassistenten" zu sprechen. An einem Ort, der sich gut dafür eignet. Dann bete ich: "Herr, du kennst uns besser als wir selbst uns kennen. Gib mir einen klaren Blick und hilf mir, mich für das Richtige zu entscheiden." Und ich mache die Erfahrung: es hilft. Das Beten lässt mich nicht nur Abstand gewinnen, es hilft mir tatsächlich klarer zu sehen. Und wenn es mir auch damit noch nicht gelingt, zu einer guten Einschätzung oder Entscheidung zu kommen, dann habe ich als Christ immer noch die Hoffnung, dass es am Ende des großen Spiels zu einem gerechten Urteil kommen wird. Dass Gott dann aus seiner Kabine hervortritt und uns allen die Augen öffnet für das Leben, wie es wirklich ist – in all seiner Vielschichtigkeit und Zerrissenheit. Und dafür, wie es in seinen Augen ist, der noch mal so anders auf alles schaut.