Fragt sie doch!

Fragt sie doch!
Pastor Christian Rommert
24.11.2018 - 23:45
05.02.2018
Christian Rommert

Das Wort zum Sonntag: 24.11.2018

Sprecher: Pastor Christian Rommert, Bochum

 

Fragt sie doch!

 

Ich hatte Geburtstag. Sieben Kerzen brannten auf meinem Kuchen. Da klingelte es an der Tür. Drinnen meine Freunde und meine Familie und draußen der Postbote. Ein Telegramm. Wir hatten damals kein Telefon. Mein einziger noch lebender Opa war gestorben. An meinem Geburtstag. Und ich erinnere mich an den Gedanken: Jetzt hast Du gar keinen Opa mehr! Mein anderer Opa war im Krieg gestorben. Ich habe ihn nie kennengelernt.

Mich hat das seitdem nie losgelassen: Dass ich so wenig von meinen Opas wusste und beide einfach aus meinem Leben verschwunden waren. Und so machte ich mich Jahre später auf die mühsame Suche nach Spuren... nach Menschen, die die Beiden noch kannten. Die Ersten, die ich fragen konnte, waren meine Eltern. Meine Mutter erzählte mir, wie sie ihren Vater als Kind erlebt hat - und dann von der Flucht. Von der Verzweiflung und der Hoffnung und wie sich nach dem Krieg alle wiedergesehen haben. Dann sprach ich mit meinem Vater über meinen anderen Opa. Er war verschollen, wurde später für tot erklärt. Von ihm gab es Briefe. Feldpost. „Meine liebe süße Frau und Kinder“, schreibt er,  „ich wollte, ich könnte bei Euch sein, in der warmen Küche, wenn das Holz im Herd knistert und ich könnte mich mal aufs Sofa legen, auf meinen Lieblingsplatz.“

Ich fand heraus, wo dieser Opa im Zweiten Weltkrieg in Russland eingesetzt war. Er kümmerte sich um Verwundete. Mit einem Pferdewagen holte er sie aus dem Gefecht. Immer wieder schreibt er von der furchtbaren Kälte: „Meine Zehen an beiden Füßen sind schon etwas erfroren. Ich bitte meinen Herrgott immer wieder darum, dass es nicht noch kälter wird.“ Ich suchte weiter. Wo ist er gestorben? Wo wurde er das letzte Mal gesehen? Und: Wie hat er die Situation an der Front erlebt? Er freute sich, wenn er eine Zigarette hatte. Das schreibt er immer wieder. Und: „Hier bei diesen Verhältnissen kann einem keine Macht der Welt helfen und trösten! Aber ich bin froh, dass ich Einen über mir habe, an den ich mich wenden kann und der einem Kraft gibt.“

Als ich mit meinen Eltern über meinen Opa sprach, zeigte mir mein Vater ein sehr altes Bild: Die Familie unter dem Weihnachtsbaum, ein Jahr bevor Opa im Krieg starb. Auf dem Bild ist mein Vater vier Jahre alt. „Das war unsere letzte Begegnung!“ sagt er. „Was weißt Du über die letzten Stunden meines Opas?“, frage ich ihn. Ein Freund hat ihn als Letzter gesehen. Er fuhr wieder einmal in das Gefecht, um Verwundete zu bergen. Von dieser Fahrt kehrte er nicht zurück. Das war bei Woronesch. In Russland. Januar 43.

Auch jetzt, wo mein Geburtstagskuchen zu klein ist für all die Kerzen - meine Suche ist noch nicht zu Ende. Ich hoffe immer noch, Hinweise auf das Grab meines Opas zu finden. Aber was ich jetzt schon bei meiner Suche gefunden habe, das ist mir sehr wertvoll. Erstens: Frage deine Eltern, solange sie leben. Frage sie, verpass nicht diese Chance! Und zweitens: Gott ist da. Auch in den schlimmsten Umständen. Für meinem Opa war diese Hoffnung eine Kraftquelle. Das kann ich auch als sein Enkel: mich in schwierigen Situationen an Gott wenden und bei ihm Kraft und Trost suchen.

 

05.02.2018
Christian Rommert