Geschichten aus dem Hinterhof

Geschichten aus dem Hinterhof
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
04.08.2018 - 23:35
12.01.2018
Dr. Wolfgang Beck

Es ist nicht chic. Die Mülltonnen stinken vor sich hin. Und mit Farbe und Pinsel ist hier schon lange niemand mehr vorbeigekommen. Das sind Eindrücke von Hinterhöfen in Großstädten. In so einem Hinterhof ist zum Beispiel ein kleiner Lebensmittelladen, in dem ich manchmal Obst kaufe, wenn ich zufällig in der Gegend vorbeikomme. Im Durchgang zu diesem Hinterhof hängen 30 Briefkästen, ziemlich verbeult, manche aufgebrochen. Und mit ihren fremd anmutenden Namen erzählen schon die Schilder dieser Briefkästen die Geschichten von Menschen und Lebenswegen. Hinterhöfe erzählen viele Geschichten. Hier sind die Mieten wohl noch bezahlbar. Die Menschen schlagen sich mit den kleinen Läden so durch. Hier darf man nicht wählerisch sein.

Bewusst aufgesucht hat solche Hinterhöfe der Schriftsteller und Theaterschaffende Björn Bicker. Der hat dort Spannendes entdeckt und Gespräche geführt. In früheren Büro- und Geschäftsräumen hat er Religionsgemeinschaften gefunden, die irgendwie ihr Zusammenleben auf engem Raum organisieren. Da sind freikirchliche Christen, Muslime und Hindus und die meisten von ihnen haben Migrationsgeschichten. Praktisch und pragmatisch geht es zu, alle verbindet ein ähnliches Schicksal, die Sorge um unbezahlte Rechnungen und die Zukunft der Kinder zum Beispiel. Hier werden nicht die Fragen zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert. Hier wird eher angepackt, statt debattiert.

Der Autor Björn Bicker hat die Menschen an solchen Orten nach ihrem Glauben befragt. Und er hat viele Menschen dazu gebracht, mit ihm Theaterprojekte zu entwickeln und aufzuführen. "Urban Prayers" heißt sein Stück. Die Aufführungen finden dann nicht irgendwo auf großen Bühnen statt, sondern in den Gebetsräumen der verschiedenen Religionen und Glaubensgemeinschaften. Dabei wird auch sichtbar, wie wichtig vielen Menschen ihre Religion und die Gemeinschaft darin ist, gerade wenn sonst für sie so viel unsicher ist. Mich haben die Erzählungen von Björn Bicker von seinen Begegnungen in den Hinterhöfen berührt. Denn er berichtet von Menschen, die sich einfach über das Interesse freuen. Menschen, die gerne mal ein wenig ihre Religion erklären oder zum Mitbeten einladen. Und er berichtet von heftigen Debatten, die es nach seinen Anfragen für das Theater in den verschiedenen Gemeinden gab.

Nicht alle sagen da freundlich "Hallo" und "Willkommen", nur weil ein Mensch vom Theater vorbeikommt und sich auf einmal für sie interessiert. Da gibt es Misstrauen. Und nichts ist zu beschönigen, nur weil es fremd und "exotisch" zugeht – oder bei den Theateraufführungen ganz unterschiedliche Gesellschaftsschichten aufeinander treffen. Der Blick in die Hinterhöfe ist bei Bicker nicht naiv. Es geht nicht um Sozialromantik. Für mich bleibt aber mit dem Theaterprojekt die Faszination für die pragmatischen alltäglichen Lösungen, mit denen ganz unterschiedliche Menschen und auch Religionsgemeinschaften miteinander auskommen.

Die Hinterhöfe sind deshalb ein ganz gutes Symbol, eine Metapher für Lebensbereiche von Menschen. Es sind die Bereiche, in denen sich jeder und jede eingestehen muss, dass es nicht so perfekt und ideal läuft, wie ich mir das für mein Leben vielleicht wünsche oder es nach außen inszeniere. Die Hinterhöfe sind auch ein Bild dafür, dass Menschen ihre persönlichen Kompromisse finden, um das Leben irgendwie zu meistern. Wenn Papst Franziskus in seinem jüngsten Schreiben von den "Heiligen nebenan" spricht, könnte er vermutlich auch an solche Hinterhöfe gedacht haben. Und wer von Ihnen in diesen Sommerwochen in fremden Städten unterwegs ist und einfach mal den Stadtführer in der Tasche ignoriert, der kommt vielleicht auch in manche Hinterhöfe. Es könnte sich lohnen.

Einen guten Sonntag!

12.01.2018
Dr. Wolfgang Beck