Gesicht zeigen

Pastoralreferentin Lissy Eichert

Foto: rbb/Walter Wetzler

Gesicht zeigen
Pastoralreferentin Lissy Eichert
27.08.2016 - 23:35

Guten Abend aus Berlin.

Die Stadt steht für Toleranz. Auch, wo es um Äußerliches wie die Kleidung geht: Jede und jeder kann hier rumrennen, wie sie oder er möchte, ohne dass es andere stört. Und da wird nun ausgerechnet ein Stück Stoff, die Burka, zum Dauerbrenner dieses Spätsommers.

 Ich erinnere mich an meine Tante, eine tolle Ordensfrau. Früher trug sie ein Ordenskleid, bei dem der Schleier nur wenig vom Gesicht frei ließ. Das war zwar fremd, hat mich aber nicht verstört. Auch wenn es für sie ein religiöses Zeichen war, erlebten es viele Frauen als befreiend, neben ihrem Ordensgewand auch zivile Kleidung tragen zu können. Das Anliegen ist klar: mehr Nähe zu den Menschen ermöglichen. Mehr Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

Darum geht es auch in der Burka-Debatte: Gesicht zeigen. Und deshalb befremdet mich die Vollverschleierung. Kommunikation und Integration fördert sie jedenfalls nicht.

Es ist unser aller gutes Recht, den Mitmenschen zu erkennen, auch wiederzuerkennen. Durch die Mimik lassen sich noch viel mehr Gefühle ausdrücken. Dafür muss natürlich auch ich bereit sein, mein Visier hochzuklappen. Mich zu erkennen geben, persönlich sichtbar werden. Ist gar nicht so leicht. Ich verschleiere ja auch gern dies oder das. Trage Masken.

In Berlin hängen jetzt, im Wahlkampf, wieder viele „Gesichter“ im Stadtbild: die mehr oder weniger gut gelungenen Portraits der Kandidaten und Kandidatinnen. Die meisten von ihnen verströmen Optimismus und Tatkraft.  Doch Zahltag ist nach dem Wahltag. Ist eine Ursache für Politikverdrossenheit und Protestwählen, dass man „denen da oben“ doch nicht recht traut, weil man ihr wahres Gesicht vermisst?

Der Mensch soll sich zu erkennen geben. Soll persönlich sichtbar sein. Und Gott –  Gott bleibt unsichtbar. Das ist ein Problem. Für viele ein Distanzproblem. Was Gott selber aber originell gelöst hat: In Jesus Christus zeigt Gott sein Gesicht. In Jesus Christus werden die Trennwände zwischen Männern und Frauen, Juden und Griechen, Freien und Sklaven niedergerissen, heißt es bei Paulus. (vgl. Eph 2,14, Gal 3,28)

Und Jesus Christus will uns auch persönlich begegnen. Er erklärt ganz praktisch, wie ich ihn beispielsweise in den „Geringsten“ (vgl. Mt 25,40), in den Schwächsten der Gesellschaft, erkennen kann - wenn ich ihnen auf Augenhöhe begegne, von Angesicht zu Angesicht. Hinschauen, ohne dass dabei einer vor Scham den Blick senken muss.

Wo das geschieht, können - manchmal durch einen einzigen Blick - Vorurteile kippen. Und Mitgefühl platzt ins Leben. Wo echte Begegnung gelingt, passieren kleine und große Wunder der Menschlichkeit, ja, der Göttlichkeit. Mitten im Alltag.

Ich wünsche uns allen offene Augen, auch für diese Wunder.

Einen gesegneten Sonntag.