Macht der Ohnmacht

Macht der Ohnmacht
Das Wort zum Sonntag von Pastorin Nora Steen
28.11.2015 - 23:35

Morgen beginnt die Adventszeit. Für mich  wird  der 1. Advent  anders als die letzten Jahre sein. In den Kirchen werden die gleichen biblischen Texte wie sonst gelesen: „Es ist eine Stimme in der Wüste: Bereitet dem HERRN den Weg, denn siehe, der Herr kommt gewaltig!“, zum Beispiel. In diesem Jahr haben diese Worte für mich einen bitteren Beigeschmack. Wo ich glaube, dass wir einem gütigen, liebenden Gott den Weg in unsere Herzen bereiten sollen, nehmen religiöse Fanatiker ähnliche Worte in den Mund. Wollen ihrem Gott – oder wohl eher sich selbst - mit Gewalt den Weg bereiten. Sie morden, getrieben von blindem Hass auf die, die anders leben und glauben als sie. Dieser Advent ist anders.

Und jetzt - jetzt  fordern immer mehr Menschen, die Rede von Gott – egal welcher Religion – sollte aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Das kann ich nachvollziehen. Weil schon zu viel Unheil im Namen dieser Instanz geschehen ist, als dass man davon noch Gutes für unsere derzeitige Weltlage erwarten könnte. Frieden also nur ohne die Religionen? Also doch wieder nur durch Waffengewalt und militärische Stärke?

„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe“ werden wir morgen früh in den Gottesdiensten  lesen. Und, ja, es wird mir weh tun. Weil der, dem wir im Advent den Weg bereiten, so gänzlich anders ist als jemand, der Menschen zu seinen Soldaten machen will, um in seinem Namen zu töten und sein Reich aufzurichten.

Der, dem wir im Advent die Tore unserer Herzen öffnen ist ein König, der auf einem Esel reitet. Das schreibt die Bibel. Der zu uns kommt, weil er die Welt liebt. Weil er mit denen leidet, denen Unrecht geschieht.

Seine Macht ist Sanftmut. Seine Stärke ist seine Verwundbarkeit. Das ist schwer zu ertragen. Natürlich müssen wir Leben schützen, wo auch immer es in Gefahr ist. Aber was wir von ihm lernen können: Der Weg zum Frieden gelingt nicht, wenn wir Gleiches mit Gleichem vergelten. Er lässt sich nicht mit Waffengewalt erzwingen. Für unsere Demokratie heißt das, dass wir um unsere Verwundbarkeit wissen, uns schützen, aber nicht mit gleichen Waffen zurückschlagen. Die Willkommenskultur ist unsere Stärke und die Terroristen wissen das. Wenn wir diese Freiheit aus Angst aufgeben – das wäre für sie ein Sieg.

Dieser Advent ist anders. Genau deshalb soll möglichst viel so sein wie immer. Deshalb möchte ich wie jedes Jahr auf den Weihnachtsmarkt gehen – wie sonst auch -in voller Freiheit. Ich möchte die biblischen Texte lesen, die von einem Gott erzählen, der in unsere Welt kommen möchte, weil er uns liebt und sich deshalb angreifbar macht. Genau das nämlich ist die Stärke Jesu von Nazareth, der nicht als Superheld zu uns kommt, sondern als einfacher Mensch.

Die Rechnung: Gleiches mit Gleichem vergelten – wird niemals aufgehen. Ich möchte verwundbar bleiben und mein Herz nicht verhärten. Als das größte Bekenntnis zu einer Freiheit, für die es sich zu kämpfen lohnt, allerdings nicht mit Waffen sondern mit Liebe. Das – ist unsere Stärke. Dass das Licht dieser Liebe in die Dunkelheiten unserer Wirklichkeit leuchtet – das ist mein Wunsch für diesen Advent.