Niemals vergessen

Niemals vergessen
Pastorin Annette Behnken
28.01.2017 - 23:35
21.12.2016
Annette Behnken

Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden. Kinder wissen das: Ein Kind hält einem sofort seine Wunde unter die Nase, wenn es sich verletzt hat, damit man es schnell verarzten kann.  Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden -  klingt nach Binsenweisheit. Ist aber viel mehr. Der grandiose Künstler Joseph Beuys hat mit diesem Satz eines seiner Kunstwerke erklärt. Ihm geht es dabei nicht um aufgeschlagene Kinderknie, sondern um die Seele. Für die gilt das auch mit dem Zeigen. Und sogar  für ein ganzes Land und seine Wunden gilt das.

Was für ein Quatsch, wenn jetzt einer fordert, dass wir die größte Wunde unseres Landes endlich vergessen sollen und von unserer "dämlichen Bewältigungspolitik" spricht. Und findet, man sollte den NS-Geschichtsunterricht in den Schulen abschaffen und das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas gleich mit. Genau das, was da als dämlich bezeichnet wird gehört zu den größten Leistungen unseres Landes: Unsere Erinnerung. Dass wir nicht vergessen und verdrängen, sondern uns an das erinnern, was war. Und Orte und Zeiten dafür schaffen. Unsere Erinnerung - oder, wenn man es denn so nennen will: unsere Erinnerungskultur ist das Klügste, Stärkste und Heilsamste, was wir tun konnten und tun können angesichts der Geschichte unseres Landes.

Sie waren ja welche von uns. Die Opfer. Und die Täter. Und wenn wir uns erinnern, dann geht es nicht darum, wie gebannt auf die Wunden und Sünden der Vergangenheit zu starren, sondern von dort aus nach vorne zu schauen. Auf unsere gemeinsame Verantwortung, dafür, dass das nie wieder geschieht. Darum haben wir die Gedenkstätte mitten in Berlin - eine Wunde im Herzen der Hauptstadt - und genau da gehört sie hin. Darum haben wir den Gedenktag, der gestern war, den 27. Januar. Tag der Befreiung von Auschwitz vor 72 Jahren. Denn: Erinnerung ist die Voraussetzung für Versöhnung, sagt Elie Wiesel, Friedensnobelpreisträger, der Auschwitz überlebt hat. Und Vergessen macht doch nicht ungeschehen.

Unsere Erinnerung ist Kampf gegen die Gleichgültigkeit. Sie ist politischer Kompass, der uns hilft auf der richtigen Seite zu bleiben. Wer all das erlebt hat, Auschwitz,, Gestapo, SS, den Krieg– möchte das nicht noch einmal erleben. Und auch niemand, der daran erinnert wurde und wird, sofern er nicht ganz verbohrt wird.

Die Erinnerung hat unser Land gerechter gemacht, menschenfreundlicher und schöner. Weil wir uns erinnern, werden in unserem Land Behinderte nicht mehr umgebracht-wie damals, Menschen nicht wegen ihrer Religion oder politischen Meinung verfolgt.

Wenn ich mich umsehe in der Welt, in diesen Tagen, dann denke ich, wir haben noch lange nicht genug erinnert. Noch lange nicht genug dafür gesorgt, dass das nie wieder geschieht. Noch lange nicht genug getan für Versöhnung und gegen Gleichgültigkeit. Wie wir das in Zukunft tun sollen, darüber kann man und muss man vielleicht immer wieder neu nachdenken. Aber dass wir das tun müssen, darüber nicht.

 

 

 

21.12.2016
Annette Behnken