Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche

Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche
Pastoralreferentin Lissy Eichert
15.09.2018 - 23:35

Es ist eine Zahl, die schockiert: Fast 4000 Kinder und Jugendliche wurden allein in Deutschland seit 1946 von katholischen Priestern, Diakonen und Ordensmännern sexuell missbraucht. Wobei die Dunkelziffer der Opfer noch höher liegt. Einige Ergebnisse einer Studie zum Missbrauch an Minderjährigen im Auftrag der deutschen Bischöfe wurden vorab bekannt. Auch seien Akten manipuliert oder vernichtet worden, wird vermutet. Den Verantwortungsträgern der Kirche wird vorgeworfen, eine gründliche Aufarbeitung erschwert, ja, zur Vertuschung der Verbrechen beigetragen zu haben.

Um Himmels willen, das darf nicht mehr passieren. Das Thema  Missbrauch darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Wir müssen das jetzt aushalten. Denn: Transparenz ist Opferschutz.

Als 2010 der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, der Jesuit Klaus Mertes, den sexuellen Missbrauch an seinem Gymnasium öffentlich gemacht hatte, beschimpften ihn viele als „Nestbeschmutzer“. Ich nicht. Ich war erleichtert, dass er ein Tabu gebrochen und das Unfassbare ausgesprochen hat.

Umso dramatischer, dass der Missbrauch womöglich weiter andauern soll. Jetzt. In Deutschland. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Augen nicht verschließen oder aus Scham in den Boden versinken. Der Alptraum ist vielleicht noch nicht vorbei.

Sexueller Missbrauch ist ein gesellschaftliches Problem. Stimmt. Besonders bitter stößt mir aber auf, dass meine katholische Kirche einer konsequenten Aufarbeitung manchen Stein in den Weg gelegt hat. So ist verlorenes Vertrauen nicht zurück zu gewinnen. Für die Kirche mit ihrem hohen moralischen Anspruch und der praktisch gelebten Doppelmoral ist es eine doppelte Katastrophe. Jetzt sind Umkehr und Erneuerung, ja Buße geboten.

Das wird nicht ohne Konflikte gehen. Papst Franziskus ist das beste Beispiel dafür: Auf wie viele Widerstände trifft der Mann, weil er den Klerikalismus, das überzogene Machtgehabe geweihter Männer, öffentlich anprangert.

Auch Jesus von Nazaret hatte die meisten Auseinandersetzungen mit dem religiösen Establishment seiner Zeit. Auch damals ging es um die Frage: Wer hat die Macht? Für die religiöse Obrigkeit war Jesus eine Bedrohung. Seine Lehre kam gut an beim Volk. Bestimmt auch deshalb, weil er selbst frei war von Eitelkeiten und  Machtgier.

In der Heiligen Schrift heißt es: „Jesus rief seine Jünger zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein.“ (Mt 20, 25f) „Bei euch“, also bei uns, soll es anders zugehen. Darum sollte Papst Franziskus zum Kinderschutzgipfel im Februar nicht nur Bischöfe einladen: Betroffene müssen mit an den Tisch.

 Beim allerersten Konzil, damals in Jerusalem, waren auch alle dabei - die Apostel, Frauen und Männer, die ganze Gemeinde. Gemeinsam haben sie beraten und dann Beschlüsse gefasst. (vgl. Apg 15,22). Warum sollte das heute nicht möglich sein? Es ist höchste Zeit, etwa Fragen der Zulassungsbedingungen für das Priestertum gemeinsam mit dem Volk Gottes zu besprechen und zu entscheiden. Mitsprache auch in Fragen der Sexualmoral und des Zölibats.

Im Bericht über das erste Apostelkonzil heißt es: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen“ (Apg 15,28). Den Geist Gottes zu Wort kommen lassen. Ich wünsche mir, dass in meiner Kirche, in ihren Gremien und an der Basis in den Gemeinden, der Heilige Geist auch heute noch Stimmrecht hat.

Ihnen wünsche ich einen gesegneten Sonntag.