Umwerfend aufsässig

Umwerfend aufsässig
Pfarrer i.R. Alfred Buß
22.12.2018 - 23:35
12.01.2018
Alfred Buß

Umwerfend aufsässig

Kein anderer Mensch wurde so oft gemalt wie sie. Seit Kindesbeinen ist sie auch mir vertraut: Maria, die Mutter des Kindes von Bethlehem. Und doch ist sie mir seltsam fremd geblieben Nein, nicht Maria. Fremd geblieben ist mir das Bild, in das religiöse Tradition sie zwängte. Die machte Maria brav: Zur demütig keuschen Gottesmutter.

Brav ist sie nun wirklich nicht. Im Lukasevangelium kommt sie selber zu Wort. Was sie sagt, ist umwerfend. Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Ein Engel hatte ihr angekündigt: Du wirst einen Sohn gebären, der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Darob singt Maria, singt: Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Niedrigkeit: Wie oft war die junge Frau wohl übersehen worden in ihrem bisherigen Leben, als wäre sie Luft. Übersehen werden, nichts gelten, nicht dazu gehören. Gegen erzwungene Niedrigkeit protestiert Maria. Gott schenkt Ansehen. Menschen dürfen nicht zur Beute anderer werden, schamlos ausgenutzt.

Wie das immer wieder geschah und geschieht:

Damals traf es Maria, vor 150 Jahren waren es die Pollacken und Westfalzyks. So wurden die Masuren, Schlesier und vor allem Polen spöttisch genannt, als sie ins Ruhrgebiet zogen, um hier die Kohlen hochzuholen. Knochenarbeit war das. Malochen sollten sie und keine Ansprüche stellen. Elementare Rechte mussten sie sich mühsam erkämpfen. Streiks wurden mit Gefängnis beantwortet oder gar blutig niedergeschlagen. Über diese Kämpfe lernten die Bergleute zusammenzustehen. Und die Lebensgefahr untertage ließ sie füreinander Kumpel sein. Als Pfarrer einer früheren Bergarbeitergemeinde hörte ich oft Sätze wie diesen: Wenn ich ein Problem kriege, weiß ich zu 110%, dass die Kameraden mich hier rausholen. Jeder hilft hier jedem, alle schauen füreinander. Und wo einer herkommt, spielt keine Rolle.   

Gestern wurde die letzte Zeche dichtgemacht. Nun ist es gut so. Die Kohle soll jetzt in der Erde bleiben. Um des Klimas und der Zukunft unserer Kinder willen. Aber der Zusammenhalt der Kumpel, ihre Solidarität, die muss jetzt ansteckend werden für unsere Gesellschaft, allüberall.

Wie nötig das ist, zeigt die gegenwärtige Situation im Ruhrgebiet: Ja, auf der Sonnenseite arbeiten hier Hundertausende in modernsten Jobs. Universitäten, Start ups, digitale Modellprojekte oder Logistikzentren blühen auf. Aber auf der Schattenseite gibt es Ghettos für Arme, da, wo die Kumpel wegzogen nach dem Zechensterben. Niedrigkeit und Armut sind hier erblich. Manchem Kind, mancher jungen Frau ergeht es genau so, wie Maria die Niedrigkeit besingt: Sie gelten nichts, sie werden übersehen und bleiben außen vor. Ihre Begabungen und Talente verkommen.

Verblüffend, wie Maria auf solches Elend reagiert: Maria macht Gott groß und gibt ihm weiten Raum: Gott hat meine Niedrigkeit angesehen - und gibt Ansehen jedem Menschen. Wie wahr wurde das im Wirken ihres Kindes von Bethlehem!

Einander zum Kumpel werden. Füreinander einstehen. So wünsche ich uns allen einen gesegneten vierten Advent. Glückauf!

12.01.2018
Alfred Buß