Wage zu träumen

Wage zu träumen
Pastor Christian Rommert
18.05.2019 - 20:55
06.05.2019
Christian Rommert

Ich will mal erzählen, warum ich früher den Eurovision Song Contest total schräg fand. Und er mir total fremd war. Das hat mit einer Frau zu tun, die ich in meinem Studium kennengelernt hatte. Sie wollte so wie ich Pastorin werden, Pastor. Aber dann nach wenigen Semestern gab sie ihr Studium auf. Aus einem Grund, der aus heutiger Sicht irgendwie seltsam erscheint. Sie war lesbisch und fragte sich: Pastorin, kann ich dann Pastorin werden? Auch ich war ihr damals keine Hilfe. Sie fürchtete die Debatten und Diskussionen. Und auch ich hatte Vorurteile ihr gegenüber. Und ich denke oft daran, wie meine Worte sie wohl verletzt haben.

 

Auch für mich passte das nicht zusammen. Gleichgeschlechtlich und Pastorin.

Jetzt können Sie sich vorstellen, wie ich damals dem Eurovision Song Contest gegenüberstand. Er ist ja schon lange eine Bühne, auf der es schräg, verrückt und bunt zugeht. Und schon immer war es so, dass dort auch dafür geworben wurde, dass gleichgeschlechtlich Liebende nicht ausgegrenzt werden. Viele Jahre hab ich das abgelehnt.  Doch ich habe meine Meinung geändert. Wissen Sie, wenn Sie jahrelang als Pastor darüber sprechen, wie wichtig Toleranz ist, dass Gott alle Menschen liebt, wie wichtig die Würde des Einzelnen ist und dass Gott keinen Unterschied macht zwischen den Einzelnen, dann landen Sie irgendwann bei dem Traum, den Martin Luther King einmal so beschrieben hat: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne früherer Sklaven und die Söhne von früherer Sklaventreiber zusammen auf den roten Hügeln von Georgia sitzen am Tisch der Bruderschaft.“ Sechzig Jahre sind diese Worte alt. 60 Jahre- und ich hab das oft in meinem Leben gehört. Und ich habe diesen Satz immer wieder gehört. Und ich habe mich oft gefragt: mit wem müsstest Du Dich eigentlich mal an den Tisch der Nächstenliebe setzen? Mit wem müsstest Du Dich zusammen setzen, weil seine Andersartigkeit Dich herausfordert? Wem müsstest Du begegnen und mit wem müsstest Du Dich einmal unterhalten.  Irgendwann habe ich etwas von der Vielfalt verstanden, die Gott in seine Schöpfung hineingelegt hat.

Hetero oder gleichgeschlechtlich, transident oder bi. Zum Glück waren die Menschen, die ich getroffen habe, tolerant mir gegenüber. Sie haben mir ihre Geschichten erzählt. Sie haben mir von ihren Verletzungen erzählt und wie sie weiter glauben. Wie sie weiter gehofft haben, wie sie weiter gegangen sind.

Wir leben in unterschiedlichen Ländern. Wir glauben unterschiedliche Dinge. Wir sprechen unterschiedliche Sprachen. Wir lieben unterschiedlich. Aber die Musik verbindet uns. In Hamburg. In Europa. In Tel Aviv. Und auch dort ist der Song Contest so wichtig, weil er in Israel stattfindet. Und auch hierhin gehört der große Traum Martin Luther Kings. Gemeinsam an einem Tisch sitzen. Ausgerechnet dort, wo so oft der Hass von den Eltern auf die Kinder übertragen wird. Und jetzt: Dare to dream! Wagt es zu träumen! Tut es!

06.05.2019
Christian Rommert