Gottesdienst aus der Obersten Stadtkirche Iserlohn

Oberste Stadtkirche Iserlohn
Gottesdienst aus der Obersten Stadtkirche Iserlohn
Predigt von Pfarrer Andres Michael Kuhn
01.03.2015 - 10:05
05.01.2015
Pfarrer Andres Michael Kuhn

Gnade sein mit Euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt!

 

Liebe Gemeinde, liebe Hörerin, lieber Hörer – 

Ein Bild steht vor meinen Augen: Ein Flüchtlingsmarsch durch die Wüste. Unterwegs in das Land der Hoffnung. Sengende Hitze, wenig Wasser, fade Nahrung. Ein Volk wandert aus. Die Kräfte des Anfangs, sie sind auf der Strecke geblieben. Verdrossenheit macht sich breit: „Ich kann nicht mehr! Es ist alles umsonst!" – Was tun, wenn die Hoffnung stirbt, jeden Tag ein Stück mehr?

 

Ich lese einen Bericht von der Wüstenwanderung des Volkes Israel, aus dem 4. Buch Mose, im 21. Kapitel:

4 Unterwegs verlor das Volk die Geduld 5 und sie beklagten sich bei Gott und bei Mose: „Warum habt ihr uns aus Ägypten weggeführt, damit wir in der Wüste sterben? Hier gibt es weder Brot noch Wasser, und dieses elende Manna hängt uns zum Hals heraus!“

 

Das Volk Israel ist unterwegs mit Moses. Das Manna ist da – eine klebrige, süße Masse, die man morgens in der Wüste aufsammeln kann, meist in den Sträuchern, aber kein Brot und kein Wasser. Dunkle Gefühle steigen auf:  Was tut Gott? Was tut er uns an? Hat er uns hierher herausgeführt, dass wir in der Wüste sterben?

Eine biblische Geschichte. Auch heute sind Menschen auf der Flucht. Wir haben sie kennengelernt. Junge Leute unterwegs aus Eritrea, sie verlassen die Militärdiktatur ihrer Heimat und machen sich auf den monatelangen Weg. Erst in den Sudan, dann durch die Wüste, hin zum Mittelmeer.  Wer wird ankommen, wer wird sterben? Der Weg übers Mittelmeer ist zwar schlimm, sagen sie, aber am Schlimmsten ist die Wüste! Diana Schöning befragt dazu Zena Tesfay aus Eritrea. Die beiden kennen sich aus dem Flüchtlingsnetzwerk Iserlohn.

 

(1) Gespräch  Erinnerungen an die Flucht

Diana: Zena, aus den Medien wissen wir, dass viele afrikanische Menschen bei der Überfahrt über das Meer sterben, aber auf eurer Flucht gibt es noch ganz andere Gefahren, von denen wir nicht viel wissen, und die haben mit der Wüste zu tun. Was macht die Wüste so gefährlich?

Zena: Es ist sehr heiß, es gibt kein Wasser und auch kein Essen und die Wüste ist sehr groß, so dauert die Reise sehr, sehr lange.

Diana: Gab es etwas besonders Schlimmes?

Zena: Die Schlepper haben uns geschlagen. Wenn jemand zu schwach war, haben die Schlepper ihn liegen gelassen. Deswegen sind viele Menschen dort gestorben und keiner konnte ihnen helfen.

Diana: Ich  habe dich und auch deine Freunde als sehr lebensmutig und lebensstark erlebt, ihr kämpft für eure Hoffnung. Wie fühlt sich das Leben in Deutschland an?

Zena: Uns gefällt Deutschland sehr gut. Wir haben viele nette Menschen kennengelernt. Sie haben uns geholfen, zum Beispiel mit der Sprache. Auch durch die Kirche bekommen wir viele Kontakte. Aber das Asylverfahren ist manchmal wie eine Wüste, weil es so lange dauert. Wir wissen jahrelang nicht, wie es endet und ob wir wieder zurück müssen.

 

Wüstenerfahrung – was Menschen dort erleben können, erzählt die bibl. Geschichte auf ihre Weise:

6 Da schickte der Herr zur Strafe giftige Schlangen unter das Volk. Viele Israeliten wurden gebissen und starben.

 

Was tun? Wie reagieren Menschen, wenn sie so etwas Schreckliches erleben?

7 Die Leute kamen zu Mose und sagten: „Es war nicht recht, dass wir uns gegen den Herrn und gegen dich aufgelehnt haben. Leg doch beim Herrn ein Wort für uns ein, damit er uns von diesen Schlangen befreit!“ Mose betete für das Volk  8 und der Herr sagte zu ihm: „Fertige eine Schlange an und befestige sie oben an einer Stange. Wer gebissen wird, soll dieses Bild ansehen, dann wird er nicht sterben!“ 9 Mose machte eine Schlange aus Bronze und befestigte sie an einer Stange. Wer gebissen wurde und auf diese Schlange sah, blieb am Leben.

 

Was macht das Volk Israel? Es fragt sich, was es falsch gemacht hat, dass Gott ihnen die Schlangen in die Wüste schickt. Das kennen wir auch: Oft fragen wir uns, ob wir selbst schuld sind. 

Dann hadern wir mit uns und möchten gerne anders sein, als wir in Wahrheit sind! Es ist schon eine schmerzliche Wahrheit, das eigene Leben so annehmen zu müssen, wie es ist – und mich selbst, wie ich wirklich bin!

Dann aber verändert Gott die Blickrichtung: Das Bild der Gefahr sollen wir betrachten zum Schutz vor der Gefahr. Die Schlangen natürlich fürchten, aber dann auf die aufgerichtete Schlange vertrauen. „Seraph", dieses Wort wird hier verwendet für die bronzene Schlange und die „Seraphim" im Plural, das  sind in der Himmelsvision des Propheten Jesaja die höchsten Engel. Die Schlange hilft wie ein Engel? – Die Engel kommen zu uns herab im Bild einer Schlange? Zeigt sich hier ein homöopathisches Grundprinzip wie Gift und Gegengift? Rabbi Nachmanides, ein großer jüdischer Lehrer des 13. Jahrhunderts, hat es so erklärt: Gott „heilt den Schaden durch den Schadensbereiter, die Krankheit durch den Krankheitserzeuger". Ja, so kann es sein – und doch noch mehr: Gottes Heilkraft kommt gleichsam herunter auf die Erde, nimmt unter uns Gestalt an, wird sichtbar und im Glauben erfahrbar!

 

Wird so alles wieder gut? Nein, denn die Schlangen bleiben ... Gott nimmt sie nicht weg! Aber er nimmt ihnen die Macht.

 

Wüstendurchquerung und Schlangenbisse – das erscheint uns zunächst fern und ist es doch auch wieder nicht. Es gibt Durststrecken im Leben, Wüstenzeiten… Oder Schicksalsschläge, die Menschen zusetzen wie Schlangenbisse… eine Krankheit, eine Trennung, ein Verlust…Was richtet Menschen dann auf? Wie können wir anderen in solch einer Situation dann beistehen oder helfen? Und was brauchen wir selbst, damit Schaden abgewehrt wird? Hören wir, wie Menschen mit Schlangenerfahrungen umgegangen sind. Ein Gespräch zwischen Marion Ziemann und Rubina Fahad. Beide versuchen, den Flüchtlingen hier in Iserlohn zu helfen.

 

(2) Gespräch  Flucht, Schlangen, Flüchtlingsnetzwerk

Marion: Rubina, Du musstest mehrfach aus Pakistan fliehen. Welche Schlangen sind Dir begegnet?

Rubina: Meine Schlange heißt „Einsamkeit und Verlassen Sein“:  Mein Mann und ich waren nach England geflohen und sehr allein und verzweifelt, weil uns dort niemand geholfen hat und wir wieder zurückgeschickt wurden. Das war eine schreckliche Erfahrung. Als wir dann nach Deutschland kamen, habe ich die Angst und die Einsamkeit der anderen Flüchtlinge gesehen. Ich wollte alles tun, damit sie andere Erfahrungen machen. Ich habe für die Flüchtlinge übersetzt, weil ich unter anderem Englisch kann und das natürlich sehr hilfreich war.

Marion: Und was ist dann passiert?

Rubina: Wir haben viele Menschen kennengelernt, wurden gebraucht, haben bis heute eine Aufgabe. Wir sind nicht mehr einsam. Im Netzwerk haben wir Menschen getroffen, die uns helfen – Dich ja auch!

Marion: Ja, und die Begegnung mit Euch und den anderen Flüchtlingen hat auch mir gut getan. Ich hatte auch eine Zeit, wo ich mich allein fühlte. Das war nach meiner Scheidung. Heute durch die Arbeit im FlüchtlingsNetzwerk bin ich nicht mehr einsam.  Sie ist für mich wie ein Geschenk Gottes – und zugleich ein Auftrag.

Rubina: Ja, auch ich glaube, dass Allah mich und meinen Mann nicht ohne Grund hierher nach Iserlohn geführt hat. Es war eine harte Zeit, aber nun haben wir ganz neuen Mut gefunden.

 

 

Nicht das Schlechte festhalten, das man erfahren hat, sondern in Gottes Namen das Gute bestärken. Etwas für andere tun und so eine Aufgabe finden, einen Sinn entdecken! – Wir hörten vorhin Klänge, die sich aneinander reiben, aber sich auch nach vorne hin öffnen, die einen Weg andeuten –  mich haben sie zuversichtlich gemacht. Ich möchte das auch können: mich nicht herunterziehen lassen durch das, was schwer ist oder Angst macht, sondern mich aufrichten lassen für etwas Neues. Erwarten, dass Gott kommt und auch mich verwandelt. Auf diesem Weg kommt uns das Evangelium entgegen, wird zur frohen Botschaft, wie Zukunftsmusik, die jetzt für uns angestimmt wird. Wir können Gott selber bitten, uns zu helfen.

 

EG 428,1-4  Komm in unsre stolze Welt (Str. 2+4 zur Musik gelesen; Zeit incl. Vorspiel)

1. Komm in unsre stolze Welt, Herr, mit deiner Liebe Werben. Überwinde Macht und Geld, lass die Völker nicht verderben. Wende Hass und Feindessinn auf den Weg des Friedens hin.

2. Komm in unser reiches Land, der du Arme liebst und Schwache, dass von Geiz und Unverstand unser Menschenherz erwache. Schaff aus unserm Überfluss Rettung dem, der hungern muss.

3. Komm in unsre laute Stadt, Herr, mit deines Schweigens Mitte, dass, wer keinen Mut mehr hat, sich von dir die Kraft erbitte für den Weg durch Lärm und Streit hin zu deiner Ewigkeit.

(zu 4) Komm in unser festes Haus – komm, der du nackt und ungeborgen. / Unser festes Haus: mach ein leichtes Zelt daraus / mach ein Zelt, das uns deckt kaum bis zum Morgen / der du nackt und ungeborgen, komm in unser festes Haus / denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist. / Komm in unser festes Haus, / denn wer sicher wohnt, vergisst.

 

Wüstenerfahrungen – damals und heute. Gott um Hilfe bitten. Zeichen finden, die stark sind, an denen Menschen sich aufrichten können. Der Evangelist Johannes nimmt die alttestamentliche Geschichte in seinem Evangelium auf. Hier heißt es im dritten Kapitel: 

14 Mose richtete in der Wüste den Pfahl mit der bronzenen Schlange auf. Genauso muss auch der Menschensohn erhöht werden, 15 damit alle, die sich im Glauben ihm zuwenden, durch ihn ewiges Leben bekommen. 16 Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab. Nun werden alle, die sich auf den Sohn Gottes verlassen, nicht zugrunde gehen, sondern ewig leben. 17 Gott sandte den Sohn nicht in die Welt, um die Menschen zu verurteilen, sondern um sie zu retten.

 

 

Wir sind eingeladen, das Zeichen zu betrachten, mit dem Gott die retten will, die es anschauen: Das Kreuz – und den Menschen Jesus. Ich nehme ihn wahr als Zeichen für uns: mit seiner Einsamkeit und seiner Angst. Wo es mich mitten in meinem Alltag zu zerreißen droht, Konflikte mich von außen lähmen und innen die Schlangen beißen, brauche ich ein Zeichen, dass mich aufrichtet. Vor meinem inneren Auge sehe ich den vor mir, der sein Kreuz trägt und es verbindet sich mit dem Kreuz, das ich zu tragen habe. Gott lässt sich spüren als der, der mit mir leidet. Gott spüren – im Kreuz und wissen: Ich leide. Er leidet mit! Er mag mich leiden! Das richtet mich auf.

 

Wenn ich ans Sterbebett ins Krankenhaus gerufen werde, bringe ich es gerne mit, ein leicht geschwungenes Holzkreuz, das sich wie von selbst in die Hand schmiegt. Ich drücke es meinem sterbenden Gegenüber für die letzte Reise in die Hand. Handgepäck für eine Hand, die von Atemzug zu Atemzug deutlich verkrampft. Ich spreche mit ruhiger Stimme Worte dazu vom guten Hirten: Und ob ich schon wandere im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich, ... und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar ...

 

Ich weiß, das Leid ist nicht anschmiegsam! Aber das Kreuz, das wie ein Handschmeichler gemacht ist, kann trösten und inneren Frieden eröffnen. Zumal ich es da lasse, in jener Hand, wenn ich wieder gehe aus diesem Raum. Es kann zum Lebenszeichen werden – im Sterbezimmer! Manchmal halte ich ein solches Kreuz selbst gerne in der Hand. Es bringt Gott hinein in meine schmerzenden Untiefen. Es gibt mir Halt, es richtet mich auf. Und es zieht mich dem Himmel entgegen. Der Evangelist Johannes spricht von dem erhöhten Jesus, der zu sich zieht. Da soll ich Heimat finden dürfen.

 

Der Blick auf den erhöhten Jesus tut mir gut, denn er löst den Blick von den Schlangen in mir und um mich herum. Botschaften erreichen mich, wie Engel zu mir gesandt: Ich bin nicht verloren, ich werde gefunden! Ich werde nicht zugrunde gehen, ich soll gerettet werden! Ich werde aufgerichtet für das Leben. „Ich lebe und Du sollst auch leben!" – sagt Jesus.

 

Ich blicke mich um, die Schlangen sind noch da. Vielleicht beißen sie wieder. Aber sie haben keine Macht. Es gibt eine Kraft, die stärker ist. Danach richte ich mich aus. So kann ich mich getrost auf den Weg zu machen. Er führt mich an die Seite von Menschen, die hier Zuflucht suchen. Die Halt brauchen. Hier ist mein Platz. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass es ihnen gut geht. Und ich spüre, was ich zurückbekomme und merke: wir brauchen einander. Dabei kommt es auf die kleinen, kostbaren Augenblicke an, die helfen neue Kraft zu schöpfen. Rabindranath Tagore, der indische Dichter und Philosoph, hat das so beschrieben: „Mein König hat mich gerufen  am Wege die Flöte zu spielen, damit alle, die sich dahinschleppen, einen Augenblick stehen bleiben, um Atem zu holen.“

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

05.01.2015
Pfarrer Andres Michael Kuhn