Gottesdienst aus der Sophienkirche Berlin

Sophienkirche Berlin
Gottesdienst aus der Sophienkirche Berlin
Predigt von Pfarrerin Dr. Christina-Maria Bammel
15.02.2015 - 10:05
05.01.2015
Pfarrerin Dr. Christina-Maria Bammel

Liebe Gemeinde, Nachbarn nah und fern.

 

Ehrwürdig und gewaltig heben sie sich in den Himmel – die Burgbauten der vergangenen Jahrhunderte; noch heute können sie einen auch ein bisschen das Fürchten lehren – nicht nur von außen betrachtet: Schroff und kalt türmen sie sich zumeist auf dem Berge, um ihre Uneinnehmbarkeit weithin sichtbar zu machen. Der Mythos solch Protzwuchtbauten lautete: nicht zu besiegen von Feinden. Und von innen besehen sind die nicht gerade gemütlichen Riesenräume, die Kälte im Gemäuer selbst in Sommertagen sowie die Abgeschiedenheit von aller Welt kaum das, was heute als attraktiv gelten würde. Nur Felsen können die Schroffheit von so mancher Burg noch übertreffen. Ob Burg oder Fels, grau und massiv, kalt und rau – so stelle ich mir Gott eher nicht vor. Mehr ein Lufthauch, leicht und beflügelnd, oft gar nicht spürbar, manchmal ein Ticket zum Neuanfang, eine Landebahn für meine verworrenen Gedanken und Ängste…

 

Jahrhunderte aber beteten Juden und Christen gemeinsam mit dem Psalmbeter des 31. Psalms: Gott, sei du mir ein Fels, ein Versteck, eine Burg, die mich rettet. Wie bedrängend müssen die Nöte, müssen Angst und Gefahr sein, wenn die letzte Rettung nur noch in einer Burg zu finden ist? Unser unbekannter Beter, dessen Worte wir uns heute für diesen Gottesdienst leihen dürfen, verschweigt die Details seiner Not. Vielleicht ist er zu Unrecht beschuldigt worden; kann sein, Nachbarn und Bekannte haben ihn über den Tisch gezogen. Oder er selbst ist in die Schlagzeilen geraten auf eine Weise, die nicht nur ihn, sondern seine ganze Familie besudelt. Aber einmal draußen, sind die Worte nicht mehr zurück zu holen. Der Beter weiß es. Wo immer er sich jetzt blicken lässt, diese Geschichte, die da über ihn verbreitet wird, sie klebt ihm an, hat sich eingebrannt. Von wegen Recht auf Vergessen… Darum sucht er nun nicht das Mauseloch, sondern das offene Burgtor, das sich hinter ihm schließt. Die Burg der bergenden Barmherzigkeit, die ihn schützt vor den vernichtenden Blicken der Anderen. Wenn er sich doch nur dort erholen kann von den zischelnden Zungen, den Mutmaßungen und dem Spott! Abwarten vielleicht auch, dass Gras wächst über die Sache und sich keiner mehr erinnert an das Spießrutenlaufen, seinen Kreuzweg.

 

Ob in Jerusalem vor zweieinhalb Jahrtausenden und auch vor zwei Jahrtausenden, als der Mob einen Menschen durch die Straßen trieb und schrie „kreuzige ihn“, oder heute in Berlin, München oder Dresden: Die Sehnsucht von gedemütigten Menschen, die das Mauseloch suchen, ist geblieben. Und Menschen, die sich gütlich tun an den großen oder kleinen Spottgeschichten, solange sie nicht selbst Ziel von Neid, Spott oder Häme sind, sie wachsen immer wieder nach.

 

Die Sehnsucht nach einem Gott, der mich aus dem Würgegriff reißt, hinter mir das Burgtor schließt, mich auf den höchsten Felsen bringt, wo ich durchatmen und den Überblick gewinnen kann, ja ich teile sie. Und ich teile auch die Enttäuschung der Jünger, die am Anfang des Weges mit Jesus eine neue Stärke und Durchsetzungskraft erkannten. Der hätte doch nun mit Macht und Kraft die Verhältnisse ändern können – im ganzen besetzten Gebiet, in Stadt und Land! Und dann wird dieser Garant der neuen Machtverhältnisse ein ohnmächtiger Gequälter? Der mit den größten Stärken wird zum Schwächsten – und dazu sollen, die ihm folgen, auch noch stehen? Eine Zumutung! Als wäre es vernünftig auf einen Felsen zu setzen, der einem unter den Füßen wegschmilzt wie Butter in der Sonne!

 

Genau! Einen Gott, den man in Form einer Trutzburg für alle Zeiten sicher hätte, den gibt es nicht. So ein religiöser Fels würde zum wackelnden Götzen! Am Ende blieben Ton, Steine, Scherben. Und was blieb – zunächst – das waren ein zersplittertes Kreuz und ein paar blutverschmierte Nägel. Gott lässt sich nicht wie eine Kampffestung einsetzen, und schon gar nicht gegen Andere in Position bringen. Der davon spricht, nichts für sicher und auf alle Zeit festhalten zu wollen, der hält sich noch nicht mal selber fest, lässt los, nachgiebig bis in den Tod hinein. Jesus steht und stirbt für diese Nachgiebigkeit bis in den Tod hinein. Gott selbst stirbt für diese Nachgiebigkeit bis in den Tod hinein. Wenn es etwas gibt, worauf ich mich unbedingt verlassen kann, dann darauf. Der einzig Starke wurde zum leichten Haus, zur Hütte, die wegbrach. Mehr Halt ist nicht. Vielleicht ist es genau diese Glaubenseinsicht, die zur hilfreichen Religionskritik wird: Gott, ein Fels, eine Burg, die zur brüchigen Laubhütte wird? Zum Zelt auf Zeit? Für mich hat ein Maler sehr deutlich auf die Leinwand gebracht, wie Macht und Machtlosigkeit miteinander in Gott vereinbar sind. René Magritte brachte es fertig, einen Felsen in einen blauen Himmel hinein zu zaubern. Der Felsen schwebt gleichsam über den Unwägbarkeiten und Haltlosigkeiten dieser Welt. Ohne jede Sicherung, frei und im Flug. Gott wie ein schwebender Fels? Es ist mir, als ob mit diesem Bild Gott selbst Religionskritik an uns Menschen übt: Mag sein, ihr haut mich in Holz oder Stein, mag sein, ihr wollt mich festnageln, aber ich schwebe über euren irdischen Vernünftigkeiten. Lasst euch ein, dann werdet ihr getragen. Dann ist der Himmel nicht einfach ein Ort jenseits eurer engen Lebensstraßen, sondern ein Gefühl, das euch umgibt, wie das Blau, das den Felsen umschließt. Gott ist der beste Religionskritiker, den wir haben können.

 

Der Aufrichtigste dazu. Das ist der Unterschied zu allen peinlich oberflächlichen Religionskritiken der jüngsten Vergangenheit.

 

Er ist unser größter Kritiker,
wenn wir immer wieder der Versuchung erliegen,
mehr uns selbst als ihn zu feiern,
wenn wir mehr auf fromme Gefühle und ästhetischen Genuss aus sind als auf das,
was unsere Mitgeschöpfe tatsächlich braucht.
Da stellt sich Gott quer, wo wir uns mehr
um unserer selbst produzieren möchten als einfach nur das zu sein,
was wir als Gottes Kinder schon sind –
Geschwister nämlich der anderen Geschöpfe dieser Welt,
Geschwister derer, die unseren Einsatz brauchen, an den Grenzen des Kontinentes, des Lebens und der Kriegsregionen –
Wo wir diese klare Ansage Gottes in den Wind schreiben,
wird Gott zum Kritiker.
Der lässt sich seine Kritik etwas kosten.
Er lässt sich für seine Kritik sogar aufs Kreuz legen und ans Kreuz heften.
Mit diesem Gott am Kreuz ist keine Gewalt, kein Staat, zu machen.
Mit diesem Gott, der sich aus Hingabe
selbst für den Tod nicht zu schade ist. Unter diesem Kreuz können wir nicht so tun,
als hätten wir von seiner Liebe nichts gehört und nichts gesehen.
Genau das aber ist der einzig verlässliche Maßstab für jede Art von Kritik – der Maßstab der Liebe.
Das gilt erst recht für die Religionskritik. Der Kritik der Religion auch untereinander.
Gerade hier soll das Maß der Liebe greifen.
Nicht Gewalt und auch kein dubios harmonisches Gesäusel!
Können wir also Gottes Religionskritik zur Kenntnis nehmen und das nächste Lied anstimmen?
Wir können nicht.
Singen dürfen wir trotzdem!
Weil wir uns rufen lassen in eine Hoffnung hinein, die wie ein Brunnen auf den Marktplätzen der Städte sprudelt.
So sprudelt Gottes ganze Leidenschaft, die Felsblöcke zum Schmelzen bringt, auch für uns.

 

Eine Leidenschaft, die zu unserer Leidenschaft werden kann für die in den Schatten der Metropolenglanzes Gerutschten. Das ist möglich. Wir haben davon schon gehört. Die umgekehrten Verhältnisse: Burgen werden nicht mehr gebraucht, weil Menschen sich gegenseitig zur rettenden Hütte werden. Tränen der Scham und der Verzweiflung verwandelt in Lachen. Einen Ort zum Bleiben und neue Möglichkeiten und endlich wächst des Friedens Stadt für Hoffnungslose… davon singen wir jetzt noch einmal.

 

Wie wird die Nachbarschaft zur Stadt der Hoffnung? Eine Stadt, die keine Rettungs- oder Protzburgen braucht, sondern leichte Laubhütten? Jeder muss sich entscheiden, ob er im Licht der Nächstenliebe oder im Dunkel der Eigensucht leben will, meinte Martin Luther King einmal. Es brauche Deiche des Mutes gegen die Fluten der Furcht. Denn kein Problem wird gelöst, wenn Gott allein sich darum kümmern soll. Es braucht Menschen, die zu Nachbarn im allerbesten Sinne werden und ihre Hände und Herzen öffnen, wo immer nur möglich. Bert Brecht, die hier ganz in der Nähe einst das Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm gründete, er hat einmal den Satz geprägt: „Wer einen Hilferuf nicht hört, sondern vorbeigeht, verstörten Ohrs, dem blüht keine Blume mehr, der hört nicht den leisen Ruf des Liebsten. Die eigene Liebe wird dann schlecht.“ Tatsächlich mit eigener Lebenserfahrung durchbuchstabiert hat ohne den Satz zu können, knapp 200 Jahre vor Bert Brecht ein sehr vermögender Schiffbauer an derselben Straße. Koepjohann sein Name. Sein Vermögen war groß, sein Erfolg über die Stadt hinaus bekannt. Doch seinen Reichtum stellt er schließlich denen zur Verfügung, deren Rufe er nicht überhören konnte in derselben Gegend. Es entstand eine Stiftung, die noch heute wichtige Arbeit für Frauen und Kinder in der Nachbarschaft ermöglicht. Eng verbunden mit unserer Gemeinde zieht noch heute der Geist des Schiffbauers von damals durch die heutigen Angebote für Hilfesuchende: wohnungslose Frauen, junge Mütter in schwieriger Lage, hochbetagte Menschen und ihre erschöpften Angehörigen. Aber die Stiftung lebt auch davon, dass Menschen mithelfen und das als Ehrensache empfinden. Denn nur das materielle Vermögen, das Geld allein, es wäre wie Salz ohne Kraft. „Ohne Liebe, ohne Zeit, Kraft und Leidenschaft von Menschen, wäre Mildtätigkeit reiner Egoismus oder allenfalls geistliche Überheblichkeit. Na klar gibt es Stimmen unserer Zeit, die immer wieder festhalten: Dazu seien doch Christenmenschen da, verlässlich für das Humanitäre, zunehmend auch für Flüchtende und Asylsuchende, wie das ja auch in unserer Gemeinde in erstaunlichem Umfang geschieht. .. Und Menschen, die religiös etwas auf sich halten, sollten doch die Barmherzigkeit stets aufs Neue durchbuchstabieren. Tun ja auch viele ohne groß Aufhebens davon zu machen. Unredlich ist es allerdings, wenn Christen auf das selbstlose Helfen reduziert werden, die geistige Haltung allerdings, aus der heraus sie Tag für Tag neu in den Dienst gehen, lächerlich gemacht wird. Es brauch allen Respekt, und danach sehne ich mich in dieser Stadt tatsächlich mit vielen anderen Geschwistern anderer Glaubensrichtungen und Religionen, es braucht allen Respekt für diese Menschen, die Haltepunkte und Felsen der Widerständigkeit für die Mutlosen werden; die an den Wendeschleifen im Leben derer, denen nicht alles einfach von der Hand geht oder zufliegt, nicht danach fragen, was sie zurück kriegen für ihre HIlfe. Es braucht allen Respekt gegenüber jenen, die dann am Ende des Tages zusammen mit dem beten können, der es auch in der Stunde seines Todes tat: Vater, in deine Hände befehle ich mich und meinen Geist. Für diesen Respekt wollen wir gemeinsam bittend und handelnd unterwegs sein, in allen Nachbarschaften dieses Landes und weit darüber hinaus.

 

Amen.

05.01.2015
Pfarrerin Dr. Christina-Maria Bammel