Gottesdienst aus der Dreieinigkeitskirche Gräfenberg

Dreieinigkeitskirche Gräfenberg
Gottesdienst aus der Dreieinigkeitskirche Gräfenberg
06.04.2015 - 10:05
03.04.2015
Dekanin Christine Schürmann

Predigt von Dekanin Christine Schürmann

 

Ich sehe ihn genau vor mir, liebe Gemeinde,

 

den älteren Mann. Jeden Sonntag geht er zum Gottesdienst und einmal bei einem Besuch bei ihm zu Hause, sieht er mich aus seinen warmen, offenen Augen an und sagt, vorsichtig nach Worten suchend: „Das müssen sie wissen, Frau Schürmann, ich bin nie sicher, ob das alles mir auch gilt. Das mit der Gnade Gottes und der Liebe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das für mich nehmen darf, dass Gott mich liebt. Ich glaube schon an Gott und das gibt mir auch Zuversicht. Aber richtig sicher, ob ich wirklich gemeint bin, bin ich mir nicht.“

 

Dieser Mann ist mir in guter Erinnerung geblieben. Ganz nah am Glauben und doch unsicher, fragend. Thomas, dem Jünger Jesu, geht es ähnlich. Ganz nah an Jesus fragt er nach dem Tod Jesu: Auferstehung – ist das wahr? Unruhig streift er durch die Straßen der Stadt, umkreist das Haus, in dem die anderen Jünger beisammen sind. Durch die Fenster dringt Licht nach außen. Was war geschehen? Er war nicht dabei – die anderen haben Jesus schon gesehen; haben erzählt, dass ER auferstanden und ihnen erschienen ist.

 

Wird er das nachholen können? Auf Abstand zu den anderen ist Thomas geraten, abgehängt fühlt er sich. Dass er nicht dabei gewesen ist, ist das Eine. Und das Andere, dass er nicht recht glauben kann, was die anderen erzählen. Jesus auferstanden – lebendig – berührbar…

 

Als Thomas Jesus zum ersten Mal begegnet ist, rief dieser ihn: „Kommst Du mit?“ Zärtlich. Nicht fordernd. Freundschaftlich und doch unausweichlich. Etwas Besonderes verband sie. Und nun soll er der einzige sein, dem sich Jesus nicht lebendig zeigt? Jesus hat seine Fragen immer beantwortet – und oft ist Thomas der einzige, der Fragen hat: Als Jesus davon sprach, dass er einmal die Jünger verlassen werde, da wollte Thomas es genau wissen: Wohin gehst Du? Wir wissen nicht, wohin Du gehst! Und Jesus antwortet ihm:

 

Ich bin der Weg

die Wahrheit

das Leben

 

Und jetzt – Die anderen erzählen: Wir haben den Herrn gesehen. Er hat uns seine Hände gezeigt und seine Seite. Nicht zu fassen – „warum habe ich nie die Zeichen gesehen, von denen die anderen behaupten, sie hätten sie gesehen?“

 

So hören wir es gleich in einem Lied. Thomas wird vorschnell als Zweifler abgetan. Dabei stellt er doch nur Fragen. Die Sehnsucht nach eigener Erfahrung spricht aus diesen Fragen. Die Sehnsucht nach eigener Ergriffenheit, nach eigenem Kontakt mit dem Auferstandenen, eigener Berührung und eigenem Berührtsein.

 

Diese Sehnsucht ist gerade an Ostern für mich wie eine innere Unruhe: Diese große Glaubenserfahrung, die die Jünger erlebten – dieser Erfahrung hinken wir alle hinterher; dieser Erfahrung, dass der Auferstandene sich zeigt, die Tür sich öffnet und ER unter uns tritt.

 

Das haben wir alle so nicht erlebt. Vielleicht gibt es einige unter uns, die ähnliches erlebt haben – es kann geschehen, dass ich ergriffen bin, dass ich die Gegenwart des Auferstandenen spüre. Es kann sein, dass ich IHN in meiner Nähe weiß. Aber es geht eben nicht ohne die eigene Erfahrung, ohne das persönlich Angesprochen sein. Voller Sehnsucht nach eigener Erfahrung schreit Thomas in den Himmel. Trotzig. Ruhig.

 

Wenn ich nicht in deinen Händen die Nägelmale sehe

und meinen Finger in deine Nägelmale lege

und meine Hand in deine Seite lege

kann ich´s nicht glauben.

 

 

Oft stehe ich an Gräbern und spüre, wie der Tod machtvoll zerstört, wie er Wunden schlägt; alte Narben wieder aufreißt. Er zerreißt Familien, zerstört Lebenspläne, nimmt den Familienvater, oder die jugendliche Tochter, den Sohn. Der plötzliche, jähe Tod ist für uns noch Lebende das Schwerste, das Entsetzlichste. Der gewaltsam verursachte Tod – ein Abgrund. Nichts ist mehr, wie gewohnt. Kalt ist der Tod und was bleibt ist Leere und Schmerz. Ist dieser Schmerz auszuhalten?

 

Lange Nächte und endlos scheinende Tage …. Thomas – ein Woche danach; eine Woche, wie eine Ewigkeit für ihn. In Fragen. Im Vergessen.

 

Jetzt – acht Tage später – sind Thomas und die anderen Jüngern beisammen. Unerwartet und doch ersehnt, tritt der Auferstandene mitten unter sie. Mit dem Friedensgruß und mit einem Wort für Thomas. Du, reiche deinen Finger her. Thomas sieht ihn, spürt ihn und erkennt ihn an den Wunden.

 

Er ist lebendig. Stärker als der Tod. Er ist´s. Mein Herr. Er ist Auferstehung und Leben. Und das zwingt Thomas in die Knie: Nur durch die Wunden ist er ER. Nicht triumphal mit Siegesfahne. Sondern verwundet. Die Zeichen der Todesgewalt und der Schmerzen bleiben Wunden, Narben –zeigen uns berührbar, verwundbar. Jesus ist nicht auferstanden als unverwundbarer Sieger. Er ist auferstanden als der Mensch, der er für die Menschen war. Ein Mensch voll Liebe und deswegen verletzlich. Ein Mensch voll Klarheit und deswegen verwundbar. Seine Wunden sind ihm geblieben. Seine Narben verheilt, aber bleibend sichtbar die Zeichen des grausamen Todes, die Zeichen von Schmerz und Todesnot.

 

So nur kann ich mir Auferstehung denken: dass uns unsere Wunden bleiben – dass uns bleibt, was uns wesentlich macht. Nicht nur das Schöne und Leichte, sondern gerade das Schmerzende des Lebens prägt mich und macht mich zu der, die ich bin. Das Schmerzende bleibt, vernarbt vielleicht, aber bleibt sichtbar.

 

Glauben, dass das Leben stärker ist – trotz all dem – wie geht das ? Ich muss von meinem Schmerz reden dürfen. Ich muss sagen können zu einem anderen: ich bin mir nicht sicher, ob die Liebe Gottes mir auch gilt. Ich brauche einen Raum für meine Fragen. Ich brauche einen Ort für meinen Schrei. Bis nach Todesschrecken und jähem Schmerz, bis nach langen Nächten und endlosen Tagen ich wieder ins Leben stolpern kann. Glauben, dass das Leben stärker ist, ist diese goldene Hoffnung, die das Kreuz umrankt, wertvoll, weil geschenkt, nicht selbstgemacht, nicht irgendwie verdient. Und wenn der Glaube auch nur ein Flüstern ist, wird doch ein Schrei daraus in Gottes Ohren.

 

 

Abends im Licht kommt Jesus noch einmal. Sorgt sich um Thomas, stillt seine Sehnsucht und zeigt sich berührbar. Eine Woche danach. Es gibt Bilder, auf denen bohrt sich der Zeigefinger des Thomas mit dreckigem Fingernagel in Jesu Wunden hinein. Wenn jemand er der Wahrheit auf der Spur ist, sagen wir bis heute: „Er legt den Finger in die Wunde.“ Er will es genau wissen, nichts verschweigen, verdecken, verdrängen. Manchmal ist es zwingend notwendig, so bohrend zu fragen, nicht nach zu lassen, bis alles ans Licht kommt, aufgedeckt wird.

 

In unerklärlichen Katastrophensituationen hilft nur das bei der Bewältigung der Trauer. Und auch in unseren ganz persönlichen Lebensgeschichten geht es nicht, ohne dass wir nachbohren und den Schmerz wieder spüren.

 

Ich denke noch einmal an den älteren Mann, der unsicher war, ob die Liebe Gottes ihm gilt. Im Gespräch mit ihm kam ans Licht, dass er zu streng erzogen wurde und dass er seinen eigenen Wert als Mensch nicht erkennen konnte. Zu klein und unwichtig hat er gelernt zu sein. So konnte er sich von Gott nicht geliebt fühlen.

Glaube ist Geschenk des Himmels, ist und bleibt ein Geheimnis.

 

Im Johannesevangelium steht nichts davon, dass Thomas Jesus wirklich berührt, dass er wirklich den Finger in die Wunde legt, und seine Hand in seine Seite. Es wird berichtet, dass Thomas Jesus erkennt und bekennt: Mein Herr! Es bleibt unfassbar, bleibt offen, was geschah. Glaube ist – so das Lied, ein Geheimnis und doch wie ein Blickt durch eine klare, glatte Linse. Glaube ist Geheimnis und Offenbarung. Fragen und Sehen. Sehnsucht und Berührung.

 

Der ältere Mann hat seine Wunde gesehen und erkannt, warum er der ist, der er geworden ist. Thomas fragt und glaubt. Berührt. Fällt er auf die Knie. Auferstehung – ist das wahr ?

 

Das ist schon immer die Frage gewesen, die Menschen bewegt hat und an der sich die Geister schieden – Torheit für die einen, Glaubensgewissheit für die anderen. Ich bin überzeugt, dass wir mit der Frage nach der Auferstehung in unserem Leben nicht fertig werden.

 

Sie wird uns trösten und uns tragen, sie wird uns immer wieder umtreiben, als Anfrage entgegenkommen, als Zweifel beunruhigen. Damit aber nicht allein zu bleiben, mit dem Zweifel nicht allein und mit den Fragen nicht allein zu bleiben, mit den Schmerzen und den Narben nicht allein zu bleiben, das weitet und weicht die Seele, das schließt die Seele auf. Das hilft mir glauben, dass das Leben stärker ist.

 

Es wird nicht zu fassen bleiben, dass ER durch die Türen drang und durch die Mauern. Und doch verändert allein die Frage nach der Auferstehung mein Leben. Denn indem ich frage, kann der Tod überwunden werden?, nehme ich dem Tod die Macht. Ich lasse dem Tod nicht das letzte Wort. Ich lasse der schlagenden Hand des Vaters nicht das letzte Wort. Ich nehme dem Tod die Macht. Und ich lasse unfassbar, was unfassbar ist – ich lasse Geheimnis Geheimnis, und sehne mich, wie Thomas, nach dem eigenen Berührtwerden, nach der eigenen Erfahrung.

 

Und ich weiß insgeheim, dass Glaube wie der Versuch ist, die Farbe neun riechen zu wollen und Vertrauen ein Geschenk ist. Sie waren zusammen als es geschah; im Licht, das nach außen durch die Fenster dringt.

 

Sie waren bei sich und ER kam zu ihnen. Verstand. Frage. Zweifel. Trauer. Und seine Wunden berührten sie im Inneren. Ja, ich glaube das.

 

Amen

03.04.2015
Dekanin Christine Schürmann