Geschichte der Evangelischen Johanneskirche in Bingen

Am 1. Juli 1858 wurde der Grundstein zur Johanneskirche gelegt. Dem waren umfangreiche Überlegungen und Gespräche vorausgegangen. Ein Grundstück musste gesucht werden und die Finanzierung galt es zu sichern, da die Evangelische Gemeinde in ihren Anfängen nicht die Kraft hatte, solch ein Projekt alleine zu bewältigen.

 

1856 hatte der Binger Kreisbaumeister Köhler dem zuständigen großherzoglichen Oberbaudirektor in Darmstadt den Grundriss zur Genehmigung vorgelegt. Er konzipierte eine rechteckige Grundfläche mit dreiseitig geschlossenem Chor, ergänzt um eine kleine Sakristei und einem vorgelagerten Turm. Der Kirchenraum wurde als Saalbau mit gerader und geschlossener Decke konzipiert. Damit griff er die Grundsätze des Darmstädter Oberbaudirektor Georg Moller auf, der für die Kirchenbauten der damaligen Zeit Richtlinien entworfen hatte, um einen gewissen kirchenbaulichen Wildwuchs zu beenden.

 

Haustein für mittelalterliche Romantik

Bei der farblichen Gestaltung orientierte man sich an den Vorstellungen der damaligen Zeit. So wurde beispielsweise für die Außenmauer bloßer Haustein verwandt, um eine vermeintlich mittelalterliche Romantik nachzuempfinden. Am 3. September 1860 konnte die Kirche schließlich feierlich eingeweiht werden. Die Glockenweihe der drei Glocken allerdings ist erst vom 4. Dezember 1921 belegt. Die Inschriften der Glocken lauten: "Seid fröhlich in Hoffnung", "Geduldig in Trübsal" und "Haltet an am Gebet."

 

1958 wandelte sich der Innenraum des Gotteshauses grundlegend durch eine Renovierung. Nach eingehender Diskussion um eine angemessene Form des Gedenkens an die Kriegsopfer wurden die eindrucksvollen Fenster unter der Empore beauftragt. Das neue Kircheninnere wurde in einem zeitgenössischen Bericht von Eckart Fischer wie folgt beschrieben: „Die Kirche hat nun einen einheitlichen, hellen Wandanstrich; Emporenbrüstung, Orgel, Bänke und Türen sind grau gehalten. Altar, Kanzel und Taufstein sind aus rotem Basalttuff gearbeitet. Altargeräte aus Bronze und Taufschale mit Deckel kommen aus der Werkstatt des Künstlers Schönwandt. Unter der Gedächtnisstätte wurde eine Empore für die Opfer beider Kriege errichtet. Der Architekt, Oberbaurat Jakob, lieferte die Entwürfe für die beiden Antikglasfenster, die farblich und inhaltlich stark kontrastieren. Das Ostfenster veranschaulicht an drei schmerzerfüllten Gestalten Not, Tod und Verzweiflung, im Hintergrund künden Flammen und wahllos errichtete Kreuze von der Realität des Krieges. Das Westfenster hingegen, vor dem auch das Podest für ein Gedächtnisbuch steht, zeigt auf einem in gelben Farben gehaltenen, schräg aufwachsenden Hügel ein großes rotes Kreuz, das dem Beschauer die versöhnende Liebe Christi predigt.“ (Historisches Jahrbuch für den Kreis Bingen 1960, S. 32-33)

 

Mitten in Bingen

Doch diese bauliche Gestaltung war nicht von Dauer. Nach einer ausführlichen Dokumentation der Denkmalbehörde hat die Kirche im Jahr 1983 in ihrer Ausmalung weitgehend den Charakter der Anfangsjahre zurückerhalten. Vieles andere aber hat sich seit der Grundsteinlegung verändert. Die Kirche steht mittlerweile nicht mehr am Stadtrand, sondern mitten in Bingen. Die evangelische Gemeinde ist gut integriert und so kam man in den 90er-Jahren zu dem Entschluss, dass die evangelische Kirche einen Namen erhalten sollte, so wie die umliegenden katholischen Kirchen auch. Nach intensiver Diskussion in der Gemeinde entschied man sich für den Namen Johanneskirche. Man griff damit das Motiv eines der drei Chorfenster auf, das den Evangelisten Johannes zeigt. Bezeichnender Weise handelt sich dabei um den Evangelisten, dessen Evangelium sich von den anderen drei deutlich unterscheidet – ein bisschen bleibt eben eine evangelische Kirche in Bingen doch etwas Besonderes.

 

In den letzten Jahren engagierte sich die Gemeinde anlässlich des 150. Jubiläums für eine Sanierung der Kirche. Eine neue Heizung und ein neues Kirchendach wurden finanziert. Vor allem aber wurde das Umfeld um die Johanneskirche neu gestaltet. Auch wenn im ehemaligen Winzerhäuschen neben der Kirche vormals der erste Pfarrer von Bingen gewohnt hatte, so entschied sich die Gemeinde doch für den Abriss des Gebäudes. Die Bausubstanz war einfach zu marode. Damit war der Weg frei für ein großzügig gestaltetes Umfeld der Kirche. Es entstanden ein offener Versammlungsplatz und ein stufenfreier Zugang zur Kirche. Neben der Kirche liegt nun eine Wiese mit einem Apfelbaum – der bei einer evangelischen Kirche nicht fehlen darf.

 

Drei bunte Farbtupfer

Abgerundet wurde die Neugestaltung des Außengeländes durch zwei lebensgroße Keramikfiguren und einen farbenfrohen Brunnen der Künstlerin Lies Ebinger aus Bad Ems. Sie wurden für den kirchlichen Auftritt im Rahmen der Landesgartenschau 2008 in Bingen geschaffen und danach ins Außengelände der Johanneskirche versetzt - drei bunte Farbtupfer. Der Adam lädt ein über die eigene Herkunft nachzudenken, der Brunnen erinnert an die Quelle, an der lebendiges Wasser zu finden ist, und der Blaue fragt, welche Sehnsucht und Hoffnung das Leben prägen. So ist über die letzten 150 Jahre an der Mainzer Straße in Bingen ein schönes Gesamtensemble entstanden, in dessen Mitte die Evangelische Johanneskirche steht.

 

Weitere Informationen:
- Festschrift "150 Jahre Johanneskirche Bingen (1860-2010)“, erhältlich bei der Evangelischen Johanneskirchengemeinde für 10 Euro (inkl. Versandkosten)
- im Internet: www.bingen-evangelisch.de/Kirchenjubilaeum.htm