12.00 bis 13.00 Uhr Konferenz-Stream III
Umgang mit Verschwörungsmythen in Beruf und Familie
Pfarrer Andreas Hahn, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche von Westfalen
Alia Pagin, Medienpädagogin, Lehrbeauftragte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
PD Dr. Thomas Petersen, Institut für Demoskopie Allensbach
Moderation: Markus Bräuer, Medienbeauftragter des Rates der EKD und Theologischer Vorstand des GEP
Andreas Hahn konstatiert, dass „Verschwörungstheorien“ eigentlich ein unpassender Begriff sei: Theorien seien wissenschaftlich, also verifizierbar oder falsifizierbar. Verschwörungserzählungen seien aber nicht falsifizierbar, aufgrund der „Selbstimmunisierung“ der Menschen, die diesen Erzählungen anhingen. Begriffliche Alternativen seien, außer „Verschwörungserzählungen“ auch „Verschwörungsmythen“, wenn ein größerer, zugrundeliegender Zusammenhang angezeigt werden solle – und: „Verschwörungsideologien“. Die „Verschwörungsmenatlität“ fange oft mit einer Verunsicherung an. Dazu käme ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber politischen und gesellschaftlichen Eliten.
Alina Pagin ergänzt, dass oft ein gefühlter Kontrollverlust über das eigene Leben bei diesen Menschen zugrunde liege, der durch eine scheinbar klare, einfache Erklärung ausgeglichen werden solle. Diese Verschwörungsnarrative würden oft durch Fakenews untermauert, was schließlich zu Hatespeech und ähnlichem führen könne. Soziologisch würde man dabei von einer „Verschiebung der Baseline“ sprechen: Menschen würden sich in Verschwörungsnarrativen verrennen, ohne dabei aber gleich in Hassgruppen abzugleiten. Generell fehle diesen Menschen oft eine Ambiguitätstoleranz (das Aushalten mehrdeutiger Theorien und verschiedener Deutungsmuster).
Thomas Petersen macht klar, dass laut Meinungsforschungsergebnissen nur 10-15 Prozent der deutschen Bevölkerung anfällig für Verschwörungserzählungen seien oder diesen folgten, also eine eher kleine Minderheit. Dies gelte auch für das europäische Ausland. Dabei gebe es aber keine klare Zuordnung zu bestimmten Milieus.
Bei der Frage, wie diese Menschen zu erreichen seien, macht Andreas Hahn klar, dass dies in der Regel nicht durch eine Darlegung der Faktenlage funktioniere. Man müsse vielmehr auf die psychologischen Muster eingehen, die eine Rolle spielten. Dazu gehöre, zu fragen, was ein Mensch letztendlich davon habe, auf Verschwörungserzählungen einzugehen. Die Beziehungsebene spiele eine große Rolle. Man müsse unbedingt versuchen, den Kontakt zu halten, eventuell sogar strittige Themen zu meiden und neue Horizonte aufzuzeigen. Erst nach einer Annäherung könnten mit dem sogenannten „Debunking“ Erfolge erzielt werden.
Thomas Petersen erklärt, dass die Menschen, die Verschwörungserzählungen anhängen, in Umfragen oft eine größere Unsicherheit zeigten und auf der Suche nach Halt seien. Begünstigt werde dies durch die Praxis bei Verschwörungsideologien, eigentlich immer an reale Fakten anzuknüpfen und diese mit Unsinn zu vermischen.
Andreas Hahn ergänzt, dass oft sogar alle Elemente einer Verschwörungserzählung faktisch wahr seien, aber der Zusammenhang vollkommen konstruiert sei.
Alina Pagin weist darauf hin, dass Verschwörungsnarrative oft zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit führten, was auch zu schlimmen realen Folgen führen könne, wie z. B. dem Amoklauf in Christchurch. Wichtig sei es in diesem Zusammenhang, medienpädagogische Arbeit zu stärken, um mehr Medienkompetenz aufzubauen und beim Umgang mit Medien die Menschenwürde zu beachten.
Thomas Petersen ergänzt, dass außerdem auch auf die Verantwortung der Medienschaffenden selbst geachtet werden müsse: „Medien müssen klar machen, dass der Missstand nicht der Regelfall ist: Größenordnungen müssen offen dargelegt werden.“
Auch die Kirche stehe dabei vor großen Aufgaben, ergänzt Thomas Hahn, unter anderem bei den Themen Antisemitismus und Ermöglichung von Ambiguitätstoleranz.