Die Geschichte der Nikolaikirche begann sagenhaft:
"Zwei Sauhirten hüteten nördlich von Quedlinburg am linken Bodeufer ihre Herde. Da wühlten die Schweine eine große Braupfanne mit Gold auf. Von diesem Gold haben die Hirten die Nikolaikirche bauen lassen."
Johann Winnigstädt, Pfarrer in Quedlinburg von 1540 bis 1569, schrieb in seiner Chronik:
"Ao. 1201 ist die Kirche S. Nicolai in der Neustadt von den Bürgern, die zwey Thürme aber von einem reichen Schäfer angefangen zu bauen worden. Das Fundament ist auf Ellernblöcken [Erlenpfählen] gelegt und bis auf das oberste Gesims von ihm vollendet worden."
Wir lesen also sowohl aus der Sage als auch aus der Chronik heraus, dass die Nikolaikirche unter anderem von reichen Hirten finanziert wurde. Bis heute wachen zwei Hirten mit ihren Hunden an beiden Kirchtürmen als Wahrzeichen in Stein gehauen. Die Finanzierung der "Schäferkirche" war damals bereits eine spannende Geschichte und ist es bis heute geblieben.
Von der Sage zur Baugeschichte:
Um 1200 wurde der Bau einer romanischen Basilika mit flacher Balkendecke begonnen. Um 1400 wurde die Kirche im gotischen Stil umgebaut: Sie wurde unterhalb der Flachdecke gotisch eingewölbt. Mauerreste mit mittelalterlicher Bemalung oberhalb der Gewölbe zeugen davon.
Später im 15. Jh. wurde der Chorraum angebaut. Es gab die Konzeption einer gotischen Hallenkirche, die aber nicht ganz zuende geführt wurde: Der Hohe Chor ist mit den vorhandenen Kirchenschiffen nur notdürftig verbunden. Das prägt den Kirchenraum bis heute. Dendrochronologische Untersuchungen im Dachstuhl datieren die Balken auf 1310 und 1479, was auf die Fertigstellung der Basilika und der gotischen Hallenkirche hindeutet. Ende des 15. Jhs. wurden die Sakristei südlich des Hohen Chores angebaut und die 72 Meter hohen Türme fertiggestellt.
Der äußere Baukörper der Nikolaikirche ist seit dem 15. Jahrhundert im Wesentlichen unverändert, auch wenn es in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche Restaurierungen nach Blitzeinschlägen und Stürmen an den Türmen, dem Dach und auch dem Innenraum gegeben hat. Dagegen hat sich das Innere seit der Reformation sehr verändert und ist nunmehr von barocken Einbauten geprägt.
Von 1879 bis 1885 erfuhr die Kirche eine umfangreiche, bis heute sichtbare Erneuerung, nachdem der Blitz 1878 besonders folgenschwer eingeschlagen hatte. Unter anderem verschwanden die barocken Seitenemporen, die nun in Teilen in der heutigen Orgelempore vereinigt sind. Fenster und Türen wurden allesamt erneuert. Die bunten Glasfenster im Hohen Chor und im Südschiff wurden 1885 von der Quedlinburger Glaswerkstatt Müller entworfen und eingebaut. Die Bemalung der Gewölbe war barock historisierend, wurde in einer späteren Renovierung (1968) jedoch wieder verändert, so dass die Nikolaikirche ihre helle Farbigkeit wieder erhielt.
Aktuellste Renovierung:
Am 1. Advent 2013 brach ein Stück einer Rippe im Gurtbogen des Südschiffes ab und die Kirche musste bis auf den Hohen Chor gesperrt werden. Die Sicherung und Sanierung der Gewölberippen dauerten von 2014 bis 2019 an. Als großzügige Spender erwiesen sich die Busch-Nikolai-Stiftung sowie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. So hatte jede Zeit ihre "reichen Sauhirten", die bei der kostspieligen Erhaltung der Kirche mitwirkten.
"Für zahllose Christengenerationen war die Nikolaikirche durch acht Jahrhunderte bestimmend für ihre Identität. Sie ist ihnen Symbol für den verkündeten und gelebten Glauben. Sie haben darum die Mühe nicht gescheut, das Gotteshaus immer wieder aufzubauen." (Eckhardt Sehmsdorf, ehemaliger Pfarrer an St. Nikolai)
Ausstattung, Auswahl:
- Älteste Glocke Quedlinburgs (1333) mit zarten Ritzzeichnungen
- Bischof Godehardt (1350)
- Spätromanischer Taufstein (Ende 12. Jahrhundert)
- Ehemaliges romanisches Altarkreuz, der Gekreuzigte als Überwinder, der die Arme liebend ausbreitet und lächelt
- Spätgotisches Kruzifix in Lebensgröße, der Gekreuzigte leidend und im Leid ergeben
- Pieta (um 1500)
- Epitaph des Bürgermeisterehepaars Heidfeld (um 1661)
- Taufengel (1693), Vollplastik aus Lindenholz
- Barocker Hochaltar (1712) des Goslarer Bildschnitzers Jobst Heinrich Lessen
- Spätbarocke Kanzel (1731) erbaut unter der Leitung von Architekt Johann Jakob Müllern aus Braunschweig
- Glasfenster (1885) der Quedlinburger Glaswerkstatt Müller