Geschichte der Kirche

Geschichte der Kirche
Die Stiftskirche Informationen zu ihrer Geschichte

 

Die Stiftskirche ist Blickfang und Wahrzeichen des Evangelischen Johannesstiftes. Sie bildet den geistigen Mittelpunkt seiner diakonischen Arbeit. Dies kommt im architektonischen Konzept eindrucksvoll zum Ausdruck: Die Kirche befindet sich räumlich im Zentrum der Gesamtanlage des Stiftes, die Zugangsallee führt direkt auf sie zu. Eine solche herausgehobene Stellung der Kirche war bereits vom Gründer des Stiftes, Johann Hinrich Wichern, 1858 intendiert worden.

 

 

1909

Grundsteinlegung der Stiftskirche in Spandau

 

Architekt: Otto Kuhlmann

Er entwarf zahlreiche bedeutende Profan- und Sakralbauten in Deutschland (Beispiele in Berlin: Johanneskirche in Lichterfelde, Wohnbebauung am Mexikoplatz).

 

Baukosten inkl. Innenausstattung und Orgel: 363.692,75 Mark

Sitzplätze für ca. 800 Personen

 

Zwischen 1907 und 1910 erfolgte der Bau des Johannesstifts im Spandauer Forst. Wegen der Anlage des Westhafens musste das Stift seinen alten Standort in Berlin-Plötzensee, an dem es seit 1864 ansässig war, aufgeben. Seit 1897 stand bereits dort eine Stiftskirche. Wie die übrigen Gebäude des Stifts in Plötzensee wurde auch sie im Zuge des Baus und Ausbaus des Westhafens abgerissen.

 

 

18. September 1910

Einweihung der Kirche zum Festakt anlässlich der Eröffnung des bereits im April d. J. bezogenen neuen Johannesstifts in Spandau

 

 

Die ursprüngliche Gestaltung

Die in rotem Backstein ausgeführte Kirche greift architektonische Elemente des mittelalterlichen märkischen Kirchbaus, der Spätrenaissance, aber auch des Anfang des 20. Jahrhunderts aktuellen Jugendstils auf. Sie bildet im Grundriss ein gedrücktes lateinisches Kreuz. Durch ihren massiven, 56 Meter hohen Turm erweckt es von außen aber fast den Eindruck eines Zentralbaus. Die breite Vierung, auf der der Turm ruht, verjüngt sich nach oben und wird unterbrochen von einer umlaufenden Pultdachschräge, dem das Glockengeschoss und der barock geschwungene Helm folgen. Dieser geht über in ein Oktogon mit großer Laterne. Knauf und Kreuz bilden den Abschluss.

 

Der Eingangsbereich ist programmatisch gestaltet. Er will auf die Zweckbestimmung des Stiftes und seine Verwurzelung in der christlichen Botschaft aufmerksam machen. Er besteht aus einem Portal, das links und rechts von zwei Loggien flankiert ist. Zwei Spruchbänder mit Bibelzitaten (Mt. 11,28,  Mk. 10,14) zieren die Loggien und verweisen auf das Selbstverständnis des Stiftes als einer Einrichtung der sozialen Hilfe im christlich-diakonischen Geist.

 

Das Portal in seiner ursprünglichen Gestaltung existiert nicht mehr. Es zeigt im Bogenfeld oberhalb der Tür, im Tympanon, neben zwei Engelköpfen den Johannesadler, das Symbol des Evangelisten Johannes und des Johannesstiftes. Die Haube schloss mit kleinen Mansardfenstern ab. Das Portal wurde mit einem Aufsatz gekrönt, der aus einer von Schnecken und Engelköpfen gerahmten, mit einer Inschrift versehenen Kartusche bestand, über der ein Christushaupt angebracht war. Die Inschrift zitierte den Hebräer-Brief, 13,8. Rechts und links des Christushauptes befanden sich zwei Fenster. Zu beiden Seiten der Säulen war eine geschwungene Ornamentik angebracht. Eine schwere Holztür mit vergitterten Ochsenaugen schloss den Kirchraum ab.

 

Bis in die 1980er Jahre war die Marmorbüste des Gründers des Johannesstifts, Johann Hinrich Wichern, an der Südseite der Kirche, zur Schwestern- und Brüderhausseite hin, angebracht. Die Plastik wurde durch eine Bronzebüste ersetzt, die nun in der linken Loggia auf der Vorderseite der Kirche ihren Platz gefunden hat.

 

Die ursprüngliche Gestaltung des Kircheninneren blieb bis 1935/36 weitgehend unverändert. Die damals an den Pfeilerbögen und im Chor angebrachte Ornamentik (Girlanden, Bänder, Pflanzenmotive) erinnert an die Groteskenmalerei der Renaissance. Den Abschluss der Ziermalerei zur Orgel hin bildeten auf der linken Seite eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes und auf der rechten Seite ein von einem Strahlenkranz umgebenen Dreieck als Symbol der Dreifaltigkeit.

 

Die Basis der beiden die Vierung stützenden Säulen bilden stilisierte Weinranken und –trauben; beides bekannte biblische Motive. Das Kapitell ist umgeben von den vier Evangelistensymbolen: der Menschenkopf steht als Zeichen für Matthäus, der Löwe für Markus, der Stier für Lukas und der Adler für Johannes. Die Symbole nehmen Bezug auf die Offenbarung des Johannes (Off. 4, 7), in der die Vision des Thrones Gottes beschrieben wird, und auf die Vision des Propheten Hesekiel (Hes. 1,10).

 

Die Emporen waren durch ein von Balustern getragenes Geländer begrenzt. In der Mitte befanden sich Reliefs: von Kinderfiguren gehaltene Schriftkartuschen, deren Inhalt nicht mehr überliefert ist.

 

Die nicht mehr erhaltenen Mosaikfenster im Chor zeigten biblische Gestalten: Moses, David, Johannes den Täufer, Johannes den Evangelisten, Petrus und Paulus. Der Hochaltar enthielt ein Bildnis des auferstandenen Christus mit dem Wort aus dem Johannes-Evangelium 14,19: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Die Arbeit des Berliner Malers Haendler stammte aus der aufgegebenen Stiftskirche in Plötzensee. Die im selben Stil wie der Altar gehaltene Kanzel war mit Vignetten geschmückt, die wahrscheinlich die vier Evangelisten abbilden sollen. Sie schmücken jetzt den Andachtsraum im neu geschaffenen Vorraum der Kirche.

 

 

Die Glocken

1909 wurden für die neue Stiftskirche vier Glocken gegossen. Die Glocken wurden „nach der Rippe“, also nach Form und Profil der berühmten „Gloriosa“ des Erfurter Doms gegossen.

 

Jede der vier in der Tonfolge c-es-g-as gestimmten Glocken trug nach 1. Petr. 2,17 eine Inschrift: die mit 2.200 kg schwerste verkündete: „Tut Ehre jedermann“, die 1.300 kg schwere es-Glo />

Zweiter Umbau 1963/64

Architekt: Karl W. Ochs

 

Die Kirche erfuhr innen und außen wesentliche Veränderungen. Das Portal wurde vereinfacht. Sein Aufsatz (Christushaupt und Schriftkartusche), die seitlich von der Kirchentür angebrachten Schmuckelemente und Mansardfenster oberhalb des Portals wurden beseitigt, die geschwungene Dachhaube stattdessen hinuntergezogen. Die beiden Fenster rechts und links des entfernten Christushauptes wurden durch ein größeres, zentral angebrachtes Fenster ersetzt.

 

Im Inneren der Kirche wurde jedes noch verbliebene Ornament, aber auch die Schriftbänder aus den 1930er Jahren beseitigt. Der gesamte Raum erhielt einen weißen Anstrich. Die sechs kleinen Oberlichter im Chor ersetzte man durch drei große, bis zum Boden gezogene Bogenfenster, was dem Altarraum Weite, Helligkeit und Transparenz verleiht. Eine Betonkonstruktion ersetzte die Holzkanzel; ein neuer Altar wurde aufgestellt. Der ursprüngliche Säulenschmuck wurde zugunsten eines glatten, gerade abschließenden Schaftes fast vollständig zerstört und erst im Zuge des Umbaus 2003 nach historischem Vorbild rekonstruiert. Offene hell gestrichene Sprossengeländer begrenzten die nun in das Kirchenschiff vorgezogenen Emporen. Die Kirchenbänke wurden in Form und Farbe ebenfalls angepasst.

 

Die Gestaltung setzte den in den dreißiger Jahren inkonsequent eingeleiteten Prozess fort, die sich an historische Vorbilder orientierende Bildhaftigkeit zu beseitigen. Die Umgestaltung folgte der zeitgenössischen Ästhetik der 1950er und 1960er Jahre mit ihrer Vorliebe für eine abstrakte, auf die wesentlichen Bauteile konzentrierte Gestaltung, die eine Ausschmückung nach historischen Vorbildern ablehnt. Als Leitgedanke des Umbaus formulierte der damalige Stiftsvorsteher Horst Becker: „Alles Verspielte ist beseitigt. Überall sind jetzt klare Linien geschaffen, wie sie unserem heutigen Frömmigkeitsempfinden entsprechen.“

 

1968

Neubau der Orgel durch die Firma E.F. Walcker & Cie. unter Verwendung von Teilen der Kemperorgel; äußere Gestaltung durch den Architekten Karl W. Ochs

 

1983

Anlässlich des 125. Jahresfestes, erhielt das Deckengewölbe einen Anstrich in abgestuften Gelbtönen. Die Farbabstimmung geschah durch den Architekten Peter Lehrecke.

 
Dritter Umbau 2003

Architekt: Dieter Hundertmark

 

Die Grundidee für den Umbau geht davon aus, dass sich das Zentrum der Kirche in der Vierung unter dem Turm befindet. Hier soll sich die Gemeinde versammeln mit dem Altar in der Mitte. Die Raumgestaltung will unterschiedlichen Nutzungen gerecht werden. Während die bisherige Ausrichtung der Gottesdienste auf den Chor bei kleineren Gottesdienstformen wie den Abendandachten ein Gefühl der Vereinzelung vermitteln kann, ermöglichen flexible Bestuhlung und kreisförmige Raumgestaltung die Erfahrung von Gemeinschaft auch im kleinen Kreis. Die flexible Bestuhlung berücksichtigt vor allem auch die Belange behinderter Menschen. Sie sollen inmitten der Gemeinde und nicht abgesondert von ihr Platz nehmen können.

 

Um den Innenraum auf seine ursprünglichen Proportionen zurückzuführen, wurden die Emporen wieder zurückgesetzt, die Betonkanzel abgerissen. Wände und Decken erhielten einen neuen Innenanstrich. Ursprüngliche Architekturmerkmale wie der Säulenschmuck und die Natursteinverblendung der Pfeiler aus Crailsheimer Muschelkalk wurden freigelegt. Die Evangelistensymbole wurden von dem Steinbildhauer Andreas Klein wiederhergestellt. Die Analyse der historischen Bausubstanz übernahm die Restauratorin Martina Pleger. Von ihr stammen auch die Bogenausmalungen in Grisaille, die den Vorbildern von 1910 nachempfunden sind.

 

Außerdem wurde ein von der Hauptkirche durch eine verschiebbare Glaswand abgetrennter Vorraum geschaffen, der neben funktionalen Elementen auch einen mit Kreuz und Bildern biblischer Gestaltern versehenen Ort für Gebet und Andacht enthält. Damit wird der Besuch der Kirche auch außerhalb der Gottesdienstzeiten ermöglicht. Die Glasfront gibt den Blick in den Hauptraum frei, schützt ihn aber zugleich.

 

Im Aufgang zu den Emporen sind Bilder der Apostel aufgestellt. Die Gemälde gehören zu einem 13-teiligen Werk des Berliner Malers Haendler. Sie stammen noch aus Berlin-Plötzensee. In Spandau schmückten sie lange Zeit den Versammlungssaal im Haus der Schwestern und Brüder.

2010

Restaurierung des Kreuzes auf der Turmspitze.

Text: Helmut Bräutigam