Keine vierzehn Tage mehr, dann ist das Jahr vergangen. Die vielen Erinnerungsreden, Feiern und Ausstellungen zu dem „makabren“ Jubiläum „Hundert Jahre Erster Weltkrieg“ werden verblassen und neuem Gedenken Platz machen. Im Mai 2015 werden wir an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert und möchten bitten und hoffen, dass aus den heutigen Konflikten weltweit keine noch größeren Kriege entstehen. Frieden ist nötig, Frieden ist möglich. Nur ein Traum?
Nein. Und darum möchte ich doch noch einmal an 1914 erinnern. An das Weihnachtsfest vor hundert Jahren. An der langen Westfront, die von der Nordseein Belgien bis zur Schweiz reichte, hatten sich in einem grausamen Stellungskrieg deutsche Soldaten auf der einen Seite und Belgier, Franzosen und vor allem Engländer auf der anderen Seite eingegraben. Weihnachten würde der Krieg zuende sein, hatte man den zunächst begeisterten jungen Männern auf beiden Seiten versprochen. Das hatten wohl die meisten gehofft und erwartet. Kam aber anders. Der Krieg ging weiter bis zum November 1918. Was sich aber damals am 24. Dezember 1914 zugetragen hat, ist schier unglaublich. Ist aber bis heute aus englischen, französischen und deutschen Briefen und vielen Augenzeugenberichten zu erfahren und vielfach dokumentiert.
Stellungskrieg. Das bedeutet , in Schützengräben, im Stacheldrahtverhau, liegen sich bis zu neuen Meter tief in Lehm und Schlamm eingegrabene feindliche Soldaten gegenüber und belauern sich. Manchmal nur 200 Meter voreinander entfernt. In Flandern vorwiegend deutsche und englische Soldaten.
24. Dezember 1914. Seit gestern beginnt das Wasser in den Gräben zu gefrieren. Die erschossenen Engländer und Deutschen, seit Wochen unerreichbar zwischen den feindlichen Linien im Niemandsland,versinken nun nicht mehr im Schlamm. Raureif bedeckt sie auf eisigem Feld. Am Abend, als es dunkel wird, hat sich der Wind gelegt. Da tauchen erste brennende Kerzen in Ypern oben auf dem deutschen Schützengraben auf. Gewehr im Anschlag, vermuten englische Soldaten ein übles deutsches Täuschungsmanöver. Man kannte das. Hatte schon böse Erfahrungen gemacht. Aber dann: Stille Nacht, heilige Nacht... singen die deutschen Männer. Silent night, das kennt man in England. Das geht so zu Herzen, da könnten sie mitsingen. Und das tun die britischen Soldaten dann auch. Die Angst schwindet und das Misstrauen. Immer mehr Kerzen werden nun entzündet. Und die ersten Mutigen steigen auf beiden Seiten heraus aus den Gräben, treffen sich zwischen den toten Kameraden und reichen sich die Hände. Es ist ja Weihnachten. Manch einem kommt in den Sinn, was er daheim immer zu Heiligabend in der Kirche hörte: Ehre sei Gott in der Höhe unf Friede auf Erden. Ein klein wenig davon wird heute Abend wahr. Immer mehr Männer steigen über den Stacheldraht. Weihnachtsbäumchen stellen die Deutschen auf, bringen kerzengeschmückte hinüber zu den Engländern und diese antworten mit ihren Mistelzweigen. Das setzt sich fort an der ganzen Westfront. Auch Franzosen singen Douce nuit und erleuchten die Wälle. Tausende sind es in dieser Nacht, die sich finden, Geschenke austauschen, englischen Jam gegen deutsche Hartwürste, Wein, Rum und Zigarretten miteinander teilen und sich Fotos ihrer Bräute, Frauen und Kinder zeigen.
Lachen, Weinen, Waffenstillstand für eine Nacht. „Es ist schrecklich,“ schreibt später ein Landser nach Hause, „dass man den einen Tag so sehr in Frieden miteinander verkehren kann, und dass man am anderen Tage sich damit beschäftigen muss, sich degenseitig umzubringen.“ So weit ist es aber am nächsten Morgen noch nicht. Jetzt werden am Christtag erst einmal die Toten beerdigt. Das wird sogar von einigen Offizieren erlaubt oder zumindest hingenommen. Freund und Feind miteinander in die zerstampfte Erde gelegt. Und auf den nun freien Flächen, was macht man da? Fußballspielen natürlich! Die Engländer haben immer Bälle dabei. Andere spielen wie die Kinder mit Konservendosen. Auf den Wällen sitzen die Mannschaften als Zuschauer. Es ist eine Gaudi, sagen die Bayern.
Aber Krieg ist eine todernste Sache. Einfach Frieden machen, ist nicht erlaubt. Verbrüderung mit dem Feind ist Wehrkraftzersetzung, unmännlich und eine Schande vor dem eigenen Volk. Die oberen Heeresleitungen auf allen Seiten greifen ein. Bis zum Jahresende muss der Spuk vorbei sein. Die Regierungen sind empört, dass von ganz unten, aus den Schützengräben, über Krieg oder Frieden entschieden werden soll. Allerdings setzt sich der von oben befohlende Krieg nur langsam wieder durch. Das neue Jahr 1915 wird an der Westfront durchweg mit Böllerschüssen begrüßt. Doch letztlich hatte der kleine Weihnachtsfriede im Großen Krieg keine Chance. Hunderttausende fanden weiterhin den Tod. Die aber, die überlebt haben und die Gefallenen, die vorher in Briefen ihren Familien vom Weihnachtswunder geschrieben hatten, haben diese Geschichte nicht sterben lassen. Sie wird bis heute immer wieder erzählt in der Hoffnung, dass der Friede größer ist als alles menschliche Taktieren. Wann, wenn nicht an Weihnachten, könnte uns das Hoffnung machen?