"Musst du wieder los?"
"Papa, muss du wieder in den Auslandseinsatz?" Justus, mein Sohn, ist 10 Jahre alt. Wir sitzen in der U-Bahn in Hamburg. Gerade lief auf dem Bildschirm über unseren Köpfen die Nachricht, dass der Bundestag den Syrien-Einsatz der Bundeswehr beschlossen hat.
Justus sieht nicht glücklich aus. Ich beruhige ihn. "Nein, Justus, zur Zeit ist nicht geplant, dass ich mit in den Einsatz gehe!" Dennoch: Der nächste Einsatz kommt bestimmt. Für mich als Militärseelsorger ist es selbstverständlich, die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in ihre Einsätze zu begleiten.
In Deutschland arbeite ich als Militärseelsorger an der Helmut-Schmidt Universität / Universität der Bundeswehr und im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg für und mit Soldatinnen und Soldaten, im Einsatz weltweit.
Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz zu begleiten ist, eine faszinierende Aufgabe, die mich regelmäßig wieder vor neue Herausforderungen stellt. Wie wird es werden? Wie komme ich mit den Soldatinnen und Soldaten klar? Kann ich ihnen bei ihren Problemen und Sorgen helfen? Und natürlich auch die Frage: Wird es gefährlich für mich?
Dass Auslandseinsätze der Bundeswehr gefährlich sein können, ist eigentlich ganz klar. Wenn es nicht gefährlich wäre, würden nicht Soldatinnen und Soldaten in die Einsätze geschickt werden. Aber wenn es dann sehr konkret wird, für mich, für meine Familie, dann kommen die Gedanken und die Sorgen ganz nah.
Während meines ersten Einsatzes kam der Schrecken durchs Radio ins Auto, als meine Frau mit unseren beiden Jungs unterwegs war. "Deutsche Soldaten in Afghanistan erschossen!" meldete der Radiosprecher. Justus, damals sechs Jahre alt und höchst interessiert an allen Nachrichten, fragte, ganz unvermittelt und vom Tonfall her eher beiläufig: "Mama, haben die jetzt Papa verschossen?" Welch Glück, dass ich kurz vorher die Möglichkeit hatte, meiner Frau mitzuteilen, dass ich nicht betroffen bin. Wer weiß, was sonst noch passiert wäre…
Herausforderungen auch zu Hause
Auslandseinsätze sind anstrengend. Sowohl für die, die im Ausland sind, als auch für die, die zu Hause bleiben und das Leben hier in Deutschland organisieren. "Team Hotel" nennen wir das bei der Bundeswehr. Das gilt für die dienstlichen Angelegenheiten, die weiter gehen, aber vor allem auch für die Partnerinnen und Partner, für die Kinder, für die Eltern. Es gibt wichtige Unterstützungsangebote durch die Bundeswehr, Informationsveranstaltungen, Ausflüge und vieles mehr. Aber letztendlich sind die Familien auf sich alleine gestellt, ihren Lebensalltag zu bewältigen. Sie tragen in vielen Fällen eine mindestens genau so große Last wie die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.
Ich habe mich während meiner Einsätze verändert. Wertesysteme verschieben sich: das, mir in Deutschland wichtig erschien, wird auf einmal weniger wichtig. Viele Dinge, über die ich mich in Deutschland aufregte, sind nicht mehr so wichtig, und anders herum. Und ich bin klarer in meinen Entscheidungen geworden: weiß ist weiß und schwarz ist schwarz. Ich habe mir immer mehr abgewöhnt, Dinge "schön zu reden" und bin vorsichtiger geworden mit "Zeitverschwendern".
"Willkommen zu Hause!"
Es war ein herzliches Willkommen nach meinem Einsatz. Meine Familie holte mich vom Flughafen ab, meine Kinder waren kaum zu bändigen, und ich war als Papa sofort wieder mittendrin in ihrem Leben. Meine Frau hatte das Leben der Familie in Deutschland perfekt gemeistert und es war für mich wie vor dem Abflug, auch für meine Eltern, Kollegen, Freunde: fast, als sei ich gar nicht weg gewesen. Ideales Ankommen, dachte ich. Bis ich nach drei Wochen mit meiner Familie an die Ostsee in den Urlaub fuhr. Ich wollte vom ersten Augenblick an auch mal alleine sein. Und als ich dann am zweiten Tag meiner Frau sagte: "Geh doch einfach mal mit den Jungs alleine an den Strand!" flippte sie – und ich konnte und kann sie gut verstehen – total aus: "Ich habe mich jetzt fünf Monate um meine Kinder gekümmert und jetzt, wo wir gemeinsam im Urlaub sind, sagst du mir, ich soll alleine mit den Jungs an den Strand gehen?" Recht hatte sie. Ich war für alle Menschen wieder da aus dem Einsatz, nur für mich selbst noch nicht.
Meine Seele brauchte noch ein bisschen, bis sie in Deutschland war. Sie reist langsamer als mein Körper.
Meine Familie und ich waren bald darauf wieder im selben Takt. Das Ankommen hat tatsächlich gut funktioniert, wenn auch mit kleinen Verzögerungen.
Schenk Dir Zeit!
Wenn mich jetzt Menschen fragen, worauf sie achten sollen, bei einem Auslandseinsatz, sage ich ihnen: Schaut auf das "DANACH". Schenkt Euch selbst die Zeit, nach solchen zum Teil extremen, psychischen und physischen Herausforderungen anzukommen. Überfordert Euch nicht. Ich habe mir nach meinem zweiten Einsatz eine solche Auszeit für mich genommen. Vier Tage alleine. Und danach war ich dann tatsächlich da. Mit meiner Seele, die wirklich langsamer reist als mein Körper.