Spurensuche
Ein Konto beim Teufel
13.05.2017 10:00

 

 

Verlorene Illusionen

Ich habe einmal alle Illusionen über mich selbst und den guten Kern in mir an einer Stra­ßenkreuzung verloren. Es war noch zu meiner Studentenzeit. Ich fuhr mit meinem er­sten, klapprigen VW durch Heidelberg, ein Freund neben mir. Wir unterhielten uns. Wie aus heiterem Himmel war plötzlich ein Motorradfahrer da, knallt vorne an mein Auto, fliegt einige Meter weiter und bleibt regungslos an einem Laternenmast liegen.

Meine erste Re­aktion?

Ich fragte meinen Freund: "Du, Martin, hab’ ich Vor­fahrt?"

 

Gut, ich hatte Vorfahrt, aber dass mir das spontan das Wichtigste war, wichtiger als das Befinden des jungen Mannes, der unter meine Räder gekommen war, das hat mir die Il­lusion über mich selbst geraubt. Der Unfall ging einigermaßen glimpflich aus. Aber seit­her bin ich zurückhaltender mit moralischen Urteilen.

 

Gott bezahlt

Ich bin Pfarrer, und wenn mir jemand in einem Seelsorgegespräch gegenübersitzt, dann klopfe ich auch bei mir ab. Und meist, wenn er mir seine Fehler klagt, klingen auch in mir eine Saite oder zwei. Sein Fehler ist auch in mir. Zumindest als Möglichkeit.

 

Das geht ganz schnell.

Plötzlich hängst du in was drin.

Panik.

Wie komm’ ich da wieder raus.

 

Ausreden erfinden, Spuren verwischen, Entschuldigungen su­chen?

Salopp gesagt: Ich mache ein Konto auf beim Teufel und der gibt jede Menge Kredit. Bei dem darf ich das Konto überzie­hen.

Aber so werde ich meine Schuld nicht los. Das Schuldenkonto wächst und wächst, noch nach 50 Jahren. Der Teufel reibt sich die Hände und gibt immer noch Kredit.

 

Ohne Gott, - so will ich Ihnen das als mit Ihnen betroffener Zeitgenosse sagen: Ohne Gott bleibe ich auf meinem teuflischen Konto sitzen. Ohne Gott muss ich für diese Schulden bezahlen. Ich weiß nicht, wie genau dieses Bezahlen abläuft, sicher nicht mit Höllenfeuer und anderem Theater, aber ich weiß, ich muss zahlen, und das ist eine bedrückende Vorstellung. Damit das nicht passiert, schickt Gott seinen Sohn. Er bezahlt. Er tilgt am Kreuz die alte Schuld. Er eröffnet an Ostern ein neues, bereinigtes Konto. Er lacht sich auch nicht ins Fäustchen wie der Teufel. Für seinen Kredit bürgt er mit seinem Le­ben. Das ist die Mitte des "Evangeliums".

Aber darauf will ich mich nicht ausruhen, das kann nicht ausreichen für eine Situation wie die an der Straßenkreuzung.

Ich weiß nicht, ob man das trainieren kann, in Panik spontan das Richtige tun. Das ist sicherlich schwierig, und da reicht auch nicht ein Crash-Kurs.

 

Wenn man rechtes Verhalten in Krisen trainieren wollte, dann gäbe es eine Übung, die mir besonders nützlich scheint:

 

Frühzeitig und immer wieder neu mit mir selbst ehrlich sein.

 

Das ist manchmal ganz schön kompliziert. Ich will und soll ja nicht die Selbstachtung verlieren und mich selber runtermachen.

Aber ehrlich will ich sein.

 

Das Davonschleichen ist in mir.

Das Lügen ist in mir.

Das Spuren-Verwischen ist in mir.

Wenn ich ehrlich zu mir bin, kann ich es beherrschen lernen.

 

Liebe ohne Vorbehalte

Dann ist vielleicht kurz der Fluchtwunsch da, dann aber meldet sich meine Verantwortung. Es ist vielleicht Schlimmes geschehen. Je schneller ich mich selbst dem stelle, umso größer ist die Chance, schlimmsten Schaden zu verhindern.

Das gilt für schwierige Ehekrisen nicht anders als für den Unfall oder für den Schaden im Betrieb. Es ist noch kein Elend dadurch kleiner geworden, dass ich mich ihm nicht stelle.

 

 

Das kann wehtun und schwer sein. Aber ich weiß, dass ein Faktor für diese Ehrlichkeit von entscheidender Bedeutung ist:

 

Wer weiß, dass er ohne Vorbehalte geliebt ist, tut sich leichter.

Wer Liebe erfährt, wer in gelingenden Beziehungen lebt, hat auch mehr Selbstachtung.

Er wird vielleicht nicht weniger Fehler machen.

Aber er kann anders mit ihnen umgehen: ehrlicher, heilender.

 

Liebe ist die Kraft, die dem Teufel die Kundschaft streitig macht.

Jeder Versuch heilt.

Ehrlichkeit heilt.

Liebe heilt.

 

Sendungen von Pfarrer Gerhard Engelsberger