Wärme als Luxus?
mit Pfarrerin Annette Behnken aus Loccum
15.10.2022 23:50

Wie soll das gehen? Dieser Winter. Wie? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, es geht nicht ohne Solidarität. Und die können wir. Das haben wir gezeigt. Immer wieder in der Geschichte. In der christlichen Urgemeinde, wo alle zusammengelegt und sich gegenseitig versorgt haben. Aber auch in den letzten Jahren haben wir es an ganz vielen Stellen bewiesen.

Solidarität ist eine Haltung. Sowas wie eine Selbstverpflichtung. Bereit zu sein, solide, verlässlich, ganz konkret füreinander einzutreten. Die Alternative zu Egoismus. Aber auch zu Machtlosigkeit. Und dazu, politisch über den rechten Rand runterzufallen. Solidarität heißt, die Anderen im Blick haben.

Aber jetzt spitzt sich alles gerade so zu. Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Wir wissen überhaupt nicht, was noch alles auf uns zukommt. Sind dünnhäutiger, gereizter, flippen schneller aus – klar, kaum noch Nervenkostüm. Und viele sind de facto einfach ärmer geworden. Also: nur verständlich, wenn hier und da mal ein Kragen platzt. Eine hatte die Schnauze so voll und hat das genau in diesem Wortlaut getwittert. Weil Hartz IV überhaupt gar nicht reicht für ihr Kind und sie. Weil sie es leid ist, in Schubladen gesteckt, nicht gesehen, nicht ernst genommen zu werden. Und sie hat etwas Erstaunliches angezettelt. Unter #WirSindArmutsbetroffen. Armutsbetroffene Menschen, die sich sonst eher verstecken, weil sie sich schämen, weil sie als faul und lebensunfähig gelten zeigen sich öffentlich mit ihrer Armut. Erzählen ihre Geschichten. Vernetzen sich. Organisieren sich. Und machen uns vor, was wir alle jetzt brauchen. Da kann man vor jedes einzelne Wort ein Hashtag setzen. Solidarität. Wärme. Offene Herzen. Offene Türen.

Und genau hier setzt die Aktion unter dem Hashtag #Wärmewinter an. Damit Hashtag nicht Hashtag bleibt.

Es geht um gelebte Solidarität. Ganz konkret, ganz handfest. Und das für alle: Für die, die was brauchen und für die, die was zu geben haben – und oft ist es ja beides zugleich. Zu finden bei Ihnen in der Kirchengemeinde. Und auf der Homepage Wärmewinter. Es wird Wärme geben in jeder Hinsicht.

Räume, in denen man sich aufwärmen kann. Eine heiße Tasse Tee bekommen. Leute, mit denen man reden kann. Auf Augenhöhe. Hilfe. Für die Seele, wenn die Nerven und alles brach liegt. Für das Konto. Wo kann ich finanzielle Unterstützung erhalten? Wie fülle ich diese verflixten Formulare aus? Wie geht Weihnachten ohne Geld? Es gibt einen Appell an die Bundesregierung für eine Notlagenregelung. Und noch einen Appell - oder besser: eine Chance. Zu zeigen, dass wir das können: Solidarität. Die von uns, von Ihnen, die was zu geben haben. Die zum Beispiel ihre Energiepauschalen und Unterstützungen gar nicht brauchen: Geben Sie sie weiter, direkt an Menschen, die es wirklich brauchen oder an soziale Initiativen oder Einrichtungen. Aber nicht nur Geld.

Auch Zeit. Erfahrung. Dasein. Mittragen - einer des anderen Last. Und irgendwann sind Geben und Nehmen kaum mehr voneinander zu unterscheiden, sondern gehen fließend ineinander über. Wenn wir mitmachen. Das ist das Wesen von Solidarität.

 

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk (NDR)

Redaktion: Sabine Pinkenburg