Es war nur ein kleiner Zettel, aber mich hat er erst einmal fertiggemacht. Ein kleiner Zettel, weitergereicht unter den Schultischen im Unterricht damals. Ich hab ihn aufgefaltet – und ... nicht weitergereicht. Eine fiese Zeichnung war das, blöde Sprüche über mich. Ich hab die Blicke auf mir gespürt, die nur auf diesen Moment gewartet hatten. Und dann dieses Kichern und Feixen. Am liebsten wär ich auf der Stelle im Boden versunken. Andere fertigzumachen gibt offenbar vielen ein merkwürdig gutes Gefühl. Ja, ich weiß: Hab Dich nicht so. Ging uns allen so in der Schule. Klar, sehr menschlich. Trotzdem widerlich.
In den letzten Wochen habe ich an zwei Sachen öfter gedacht: an diesen Zettel und an einen Zöllner, an Zachäus, eine Geschichte aus der Bibel. Auch gemobbt: weil er klein war und man ihn für einen Abzocker und Betrüger hielt. Was wohl auf seinem Zettel gestanden hätte?
An Zachäus und an meinen Zettel musste ich jetzt oft denken. Der Wahlkampf ist gerade so voll vom Fertigmachen der Kandidierenden: Abschreiberin, Geheimnisverräter, schon das Aussehen… Hängt sie! Kein Tag ohne Jagd: Wo lässt sich wieder angreifen, wieder runterputzen? Und das nicht nur heimlich auf einem Zettel unter dem Tisch oder wie bei Zachäus im Dorftratsch, sondern heute gehen die harten Urteile und die Vorurteile gern gleich öffentlich, millionenfach, viral. Nein, ich will auch keinen verlogenen Wahlkampf. Ich will keine Menschen wählen mit zweifelhafter Vergangenheit, mit geschönten Lebensläufen und Lügen im Gepäck. Wahrheit ist grundlegend. Ehrlichkeit. Aber was widerlich ist:
Wahrheitssuche, deren einziges Ziel Zerstörung ist. Diese Gnadenlosigkeit – unerträglich. Heute, damals in der Schule und in der Bibel bei Zachäus. Denn: Wie geht’s denn weiter nach allen Angriffen und Verurteilungen? Was kommt nach der Zerstörung? Ja, wir zerlegen hier im Land gerade alles und jeden. Und am Ende dämmert es uns: Da bleibt ja kaum jemand übrig. Nichts, was gut ist. Nichts, womit es weitergehen kann. Für die nächsten vier Jahre und alle, die Verantwortung übernehmen sollen.
Schluss damit! Es braucht das, was Zachäus erlebt hat. In meinem Glauben nenne ich das Gnade. Als Jesus unter Jubel in seinen Ort kommt, da kehrt er… bei Zachäus ein. Die Vorwürfe der anderen? Kommen auf den Tisch. Nur biegt diese Geschichte dann anders ab: Jesus putzt Zachäus nicht runter, haut nicht drauf, sondern richtet ihn auf. Abends sagt er ihm diesen merkwürdigen Satz „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.“ Das Zöllnerhaus; sonst so oft kaputtgeredet, bekommt auf einmal Zukunft. Wir brauchen diese Verheißung, dass bei all unseren Schwächen und Fehlern eine gute Zukunft möglich bleibt. Mit der Zachäus-Geschichte im Kopf hab ich damals den Zettel in der Schule einfach in winzige Schnipsel zerrissen. Und heute?
Aufhören mit dem Runterputzen! Wir können anders: Wir können unsere Energie lieber in das stecken, was Zukunft möglich macht. Das wird sich für uns alle deutlich besser anfühlen, langfristig, aber sicher auch schon in der nächsten Woche.
Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Nacht.
Bayrischer Rundfunk (BR)
Redaktion: Sabine Rauh