Seltsame Antwort, aber Forscher sagen: "Lesen". Pastorin Annette Behnken spricht in ihrem Wort zum Sonntag über die Macht der 1000 Bücher, über die Kraft der Phantasie. Und sie erzählt, warum im erfolgreichsten Bestseller der Welt ein Begriff für sie wichtig geworden ist: Freiheit.
Sendetext nachlesen:
Auf dem Flohmarkt kaum etwas wert, aber für mich ein Schatz. Fast hundert Jahre alt. Die Bibel, die meine Großmutter zur Konfirmation bekommen hat. Ich finde noch kleine Lesezeichen und Textstellen, die sie sich mit Buntstiften angemarkert hat. In so einem Buch – da kann ein ganzer Kosmos drinstecken. In diesem mit seinen über 1000 Seiten gibt es eine Stelle, die mir besonders wichtig ist. Das ist der Satz: Geschwister, ihr seid zur Freiheit berufen!
(Gal 5,13; Neue Genfer Übersetzung)
Tausende Bücher gibts diese Woche auf der Frankfurter Buchmesse zu bestaunen. Jetzt kann man fragen: Wer liest denn heute überhaupt noch Bücher?
Na - viel mehr Menschen als man denkt! Und das ist gut so, weil Lesen nicht nur schlau macht, sondern tatsächlich auch gesund ist. 1-A-Workout für den Kopf. Aber es senkt auch den Stresspegel, man kann besser schlafen, Demenz wird verlangsamt. Und das ist längst noch nicht alles: Wer liest, wird emotional intelligenter, empathischer, phantasievoller, kreativer. Ganz nett, oder? Aber nichts von staatstragender Bedeutung könnte man meinen. Doch! Denn genau darin sehen Forscher:innen future-skills. Zukunfts-Kompetenzen. Eigenschaften, die wir brauchen, um der Zukunft und all dem, was sie mit sich bringt, gewachsen zu sein.
Und um die Zukunft ging es den Menschen damals auch, als die Buchmesse gegründet wurde: 1949. Den Terror der Nazi-Zeit hatten sie noch unmittelbar vor Augen. Auch die Berge brennender Bücher. Scheiterhaufen, auf denen freies Denken und die Phantasie hingerichtet wurden. Das sollte nie wieder geschehen. Aber jetzt sehen wir, wie rechte Kräfte wieder stärker werden. Das ist auch ein Thema auf der Buchmesse: Italien ist diesjähriger Ehrengast. Und die Regierung hat regierungskritische Autor:innen nicht in die offizielle Delegation des Landes aufgenommen. Da müssen alle Alarmglocken schrillen: Sind wir wirklich gerade dabei, uns daran zu gewöhnen, dass solche Kräfte an Einfluss gewinnen? Auch in der Kultur? In der Kunst? Also den Domänen von Freiheit und Vielfalt?
In den USA versuchen gerade religiöse Rechte im Wahlkampf, ausgerechnet Dietrich Bonhoeffer für ihre politischen Zwecke zu missbrauchen. Das ist absurd. Weil gerade Bonhoeffer, der evangelische Theologe, mit seinen Texten und Gedichten für Freiheit und den Widerstand gegen jede Form von Nationalismus und Ausgrenzung eingetreten ist.
Literatur, Poesie, Phantasie – das sind natürlich nicht die alleinigen Gegenmittel gegen rechtes Gift. Aber sie schaffen Räume für Hoffnung, sie sind Laboratorien des Geistes. Und dafür braucht es kreative Narrenfreiheit. Nicht als Alternative zu Rationalität und Logik. Aber mindestens als ebenbürtige Kompagnons. Sie sind überlebenswichtig in Zeiten, in denen Freiheit und Vielfalt bedroht sind.
Wir sind phantasiebegabte Wesen. Das ist ein Gottesgeschenk, das dem Geist Flügel verleiht. Literatur und besonders auch dieses Buch sind so kostbar, weil sie Weisheit und Hoffnung vermitteln.
Was meine Oma in der Bibel angemarkert hat, bleibt ihr und mein Geheimnis. Aber was ich gerne verrate, ist, dass zwischen diesen Buchdeckeln ganz viel von Freiheit erzählt wird. Dass wir dazu berufen sind, frei zu sein.
Lassen wir ihn wehen, den Geist der Freiheit, der das Leben und die Vielfalt liebt.
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Sabine Pinkenburg