Guten Abend, meine Damen und Herren.
Ich bin Mitglied der katholischen Kirche. Und dazu noch Pfarrer. Warum tu ich mir das an? Warum bin ich noch dabei? Das frage ich mich seit einigen Wochen immer häufiger und ernsthafter. Der in Teilen hochnotpeinliche Umgang mit der sogenannten Missbrauchskrise, die nur schleppend vorankommenden Reformbemühungen, das Fehlen von zeitgemäßen Antworten auf drängende Fragen, die dramatisch steigende Zahl von Kirchenaustritten … Manchmal ist es mir regelrecht peinlich, mein Gesicht für diese Kirche hinzuhalten. Und ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich ihr niemals den Rücken zukehren werde.
Aber noch ist es nicht soweit. Noch hält mich etwas in dieser Kirche. Und ich frage mich, was das ist. Dass ich nun schon 54 Jahre Mitglied bin und für meine Arbeit als Pfarrer ein sicheres Gehalt beziehe – ja, das spielt auch eine Rolle, aber es ist bei Weitem nicht der entscheidende Grund. Denn als gut ausgebildeter Theologe kann man sein Geld auch anders verdienen und die 54 Jahre als Argument: das wär mir dann doch zu wenig. Was aber hält mich dann? – Es ist etwas, das sich nicht ganz so leicht greifen lässt. Deshalb versuche ich es mal mit einem Beispiel.
Wenn ich am Bett eines Kranken stehe oder mit einer Familie zusammensitze, die einen geliebten Menschen verloren hat, dann treten die Dinge, die ich gerade aufgezählt habe, für einen Moment in den Hintergrund. Dann geht es um etwas anderes: Wo kann ich hin mit meiner Not? Und wer hat Antwort auf meine Fragen? In einer solchen Situation erlebe ich mich als einen, der etwas geben kann. Genauer: der etwas weitergeben kann. Denn das, was ich dann gebe, das habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Das habe auch ich von anderen.
Die Fähigkeit zuzuhören, die Not auszuhalten und ihr nicht mit einem billigem Trost zu begegnen, dem anderen nah sein, ihn spüren lassen, dass er in seiner Not nicht allein dasteht, und dann Worte finden, die eine Tür aufmachen, die etwas Neues sehen lassen … das alles
hab ich in der Kirche gelernt. Das könnte ich nicht, wenn ich mich nicht über Jahre und Jahrzehnte in dieser Gemeinschaft bewegt und von ihr gelernt hätte. Die Worte der Bibel, die berührenden Gesänge, die Symbole und Rituale, mit denen ich ausdrücken kann, was mich im Innersten bewegt. Allerheiligen, Weihnachten, Ostern und Pfingsten … all das hätte ich weder im Wald gefunden, noch durch Diskussionen oder Grübeln gewonnen. Ich habe es und kann es weitergeben, weil ich Mitglied dieser Kirche bin.
Es ist ein so kostbarer Schatz, den die Kirche da mit sich trägt. Sie tut es nur leider in ziemlich zerbeulten und zersprungenen Gefäßen. Manchmal ist kaum noch etwas davon zu erkennen. Da scheint sie nur noch aus Bischöfen zu bestehen, die sich an ihre Ämter klammern, und aus Aktivist:innen, die im Gender-Sternchen das Heil der Welt erblicken. Der Kirche ist etwas soviel Wertvolleres anvertraut. Dass der Tod nicht das letzte Wort über uns hat. Dass Verletztes und Verwundetes heilen kann. Dass wir Menschen über alle sichtbaren und hörbaren Unterschiede hinweg miteinander verbunden sein können. Dass Nächstenliebe und Solidarität unser Leben zu einem guten und schönen Leben machen.
Solange diese Wahrheiten nicht ganz verstellt sind, solange noch etwas von ihnen durch die zerbeulten und zersprungenen Gefäße der Kirche hindurchscheint … solange werde ich Mitglied dieser Kirche bleiben und mich gemeinsam mit anderen stark dafür machen, dass dieser kostbare Schatz wieder sichtbarer und erfahrbarer wird.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und einen gesegneten Sonntag.
Westdeutscher Rundfunk (WDR)
Redaktion: Christiane Mausbach
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