Mit der zunehmenden Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen wachsen die Herausforderungen des Jugendmedienschutzes ständig. Während Eltern früher ihre Kinder problemlos vor den Jugendgefährdungen in Kino und Fernsehen geschützt haben, sieht dies im Internet anders aus. Über die Veranwortung von Eltern und Kirche sprach DIGITAL LERNEN mit dem Medienbeauftragten der Evangelichen Kirche in Deutschland, Oberkirchenrat Markus Bräuer.
Herr Bräuer, ist das Internet aus Ihrer Sicht eher eine Gefahr oder eher eine Chance für das soziale Miteinander von Jugendlichen?
###f02###Das Internet kann eine großartige Ergänzung für das soziale Miteinander sein. Es sollte jedoch nicht so weit kommen, dass ein Teenager seiner Mutter sagt, er wolle nicht vor die Tür gehen, denn „wenn ich raus gehe, verliere ich alle meine sozialen Kontakte.“ Für das Fernsehen heißt es zu Recht, die Klugen werden klüger und die Dummen dümmer, und so verhält es sich auch mit dem Internet. Es kommt auf das rechte Maß der Dauer und auf den Inhalt der aufgerufenen Seiten an.
Erst vor wenigen Tagen berichtete ZEITonline, dass möglicherweise bis zu 30 Prozent des Datenstroms im Internet Pornografie sei. Gleichzeitig sind die Jugendlichen in Deutschland laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aufgeklärter denn je und gehen verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität um. Müssen wir uns also keine Sorgen machen?
Das Ergebnis dieser Studie, dass Jugendliche sehr verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität umgehen, ist sehr erfreulich. Dort, wo Kinder und Jugendliche auf gute und belastbare soziale Verhältnisse in Elternhaus, Schule und Freundeskreis treffen und kritisch über pornographische Inhalte gesprochen wird, werden sich Kinder und Jugendliche nicht an Pornographie orientieren, auch wenn sie sie leichter wahrnehmen können als vor zwanzig Jahren. Das entbindet aber weder Eltern noch Lehrer von der Verantwortung. Erstens leben nicht alle Kinder und Jugendliche in sozial sicheren Verhältnissen. Und zweitens ist die technische Entwicklung so rasant, dass auch Erwachsene gefordert sind, ständig zu lernen, um zu wissen, was im Internet möglich ist, womit Kinder in Berührung kommen können und worüber gesprochen werden muss.
Was kann ein früher Konsum von jugendgefährdenden und entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten Ihrer Meinung nach bei Kindern bzw. bei Jugendlichen anrichten?
Jugendgefährdende und entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte können Kinder seelisch verletzen und ihnen die nötige Orientierung nehmen. Dazu zählt für mich zum Beispiel die Darstellung von Sexualität, die nicht gefühlsbejahend ein Ausdruck wechselseitiger Wertschätzung ist, sondern Menschen auf entwürdigende Art zu sexuell willfährigen Objekten degradiert. Kinder und Jugendliche müssen das nicht sehen und es muss Erwachsene geben, die Kinder davor schützen. Kinder brauchen positive Vorbilder. Solange Kinder und Jugendliche nicht urteilssicher sind, welches Verhalten in Partnerschaft und Sexualität angemessen ist, dem Zusammenleben gut tut und der Würde eines Menschen entspricht, werden sie sich sonst an Darstellern orientieren, die ihnen im Film, im Computerspiel oder im Internet begegnen.
Ab welchem Alter können Kinder Ihrer Auffassung nach unbeaufsichtigt und ohne Internetfilter im Internet surfen?
Das hängt natürlich von der Reife des Kindes ab. Vor dem 14. Lebensjahr würde ich Eltern zu Filterprogrammen raten. Kinder im Grundschulalter sollten nur eine begrenzte Zeit am Tag am Computer und im Internet verbringen. Kindergerechte Internetsuchmaschinen wie blinde-kuh.de oder fragfinn.de/sind eine gute Alternative zu Google.
Wie gut ist es um den Jugendmedienschutz in Deutschland bestellt?
Der Jugendmedienschutz hat aus der Sicht der evangelischen Kirche eine bedeutende Aufgabe. Die Würde eines jeden Menschen ist ein Geschenk Gottes. Mit diesem Geschenk verantwortungsvoll umzugehen stellt uns aber auch vor die Aufgabe, Kinder vor Inhalten zu schützen, die ihre Entwicklung stören und ihre Seele verletzen könnten. Das Kindeswohl hat höchste Priorität. Auch im Bereich des institutionalisierten Jugendmedienschutzes gibt es noch viel zu tun: Ich halte es für dringend geboten, den Jugendmedienschutz in Deutschland mit entsprechenden Symbolen und Labels so zu gestalten, dass Eltern und Großeltern wie Lehrer wesentlich einfacher erkennen, was die einzelnen Prüfsiegel bedeuten. Denn wer macht sich klar, dass das FSK-Siegel mit der Altersangabe auf der DVD über die Jugendgefährdung des Films Auskunft gibt, aber keine pädagogische Empfehlung ist? Es ist leichter, einen Kühlschrank zu kaufen und sich über die Energieeffizienzklassen zu informieren als Eltern zu vermitteln, wie der Jugendmedienschutz organisiert ist. Und auch viele Jugendschutzprogramme für den Computer sind nicht ausgereift, so lange nicht Apple ebenso einbezogen wird wie Windows-Rechner und mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets.
Welche Aufgaben fallen den Eltern und welche den Schulen im Rahmen der Medienkompetenzerziehung und des Jugendmedienschutzes zu?
Eltern haben die Aufgabe, sich auch dann für das Internetverhalten ihrer Kinder zu interessieren, wenn sie sich selbst mehr für Fußball oder Kunst begeistern können. Nicht abzuwehren, was Kinder interessiert, sondern zu erspüren, welche Faszination von einem Computerspiel für Kinder ausgehen kann, gehört zu den elterlichen Pflichten. Und dann in ein Gespräch einzutreten und zu fragen, ob die Gewalt aus Sicht der Täter oder der Opfer gezeigt wird, ob möglicherweise Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihres Glaubens verhöhnt oder diskriminiert werden. Schwieriger ist es schon mit pornographischen Inhalten. Sexualität und Pornographie sind im Gespräch zwischen Eltern und Kindern ein oft schambesetztes und daher tabuisiertes Thema. Deshalb sollten Schulen und Kirchengemeinden mit entsprechenden Medienpaketen und gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern hier tätig werden. Wir haben eine so rasante Entwicklung des Internets. Deshalb muss die fächerübergreifende Vermittlung von Medienkompetenz und Urteilssicherheit mit der technischen Entwicklung Schritt halten. Es wäre bedauerlich, wenn Lehrpläne und Unterrichtsinhalte aus einer Zeit stammten, als wir eine elektronische Schreibmaschine mit einem LCD-Display für den Stand der Technik hielten.
Was tut die Evangelische Medienarbeit dafür, um dieses Defizit auszugleichen?
Gemeinsam mit der Kommission Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden wir am 22. Januar 2013 in München eine interdisziplinär angelegte Fachtagung zum Thema „Jugendschutz, Sexualaufklärung, Medienpädagogik und Ethik im Zeitalter der sexualisierten Medien“ veranstalten, die sich nicht an Verboten, sondern an Werten orientiert und zur Medienkompetenz beitragen soll. Die Fachtagung richtet sich an Lehrer, Journalisten, Pfarrer. Und wenn die gemeinsame Finanzierung gelingt, werden wir ein umfangsreiches Medienpaket zu Internet und Pornographie erarbeiten lassen, das dann Schulen wie Kirchengemeinden zur Verfügung stehen wird.
Und was tun Sie heute schon, damit das Thema in den Kirchengemeinden Medienkompetenz behandelt und Jugendmedienschutz praktiziert wird?
Die Evangelische Kirche in Deutschland organisiert seit vielen Jahren als eine der größten gesellschaftlichen Gruppen Jugendmedienschutzveranstaltungen gemeinsam mit dem ZDF, der ARD und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz oder der Kommission Jugendmedienschutz, publiziert die Ergebnisse und trägt sie in Schulen und Kirchengemeinden. Da es uns darauf ankommt, möglichst viele Schulen, Kindergärten, Kirchengemeinden und Familien zu erreichen, halten wir eine Bündelung der Kräfte für sinnvoll. Deshalb arbeiten wir mit den Gruppen zusammen, die das gleiche Anliegen haben. Der „Erfurter Netcode“ oder „Ein Netz für Kinder“ sind zwei Initiativen mit guten Beispielen für einen sicheren Internetraum für Kinder, an denen die evangelische Kirche aktiv beteiligt ist. Fortbildungsveranstaltungen für Religionslehrer und Pfarrer ergänzen das Angebot.
Das Interview führte Sascha Steuer