Foto: Kirchengemeinde Ottensen/ Pastor M. Lemme
Pfingstgottesdienst über den „Ur-Schall“
aus der Christianskirche in Hamburg-Altona
19.05.2024 10:05
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Predigt zum Nachlesen:

I
Biblische Erzählung von Susanne Niemeyer

Vor 2000 Jahren, es ist Frühling, sitzen fünf Frauen und zwölf Männer unter einem Dach. Vielleicht waren es auch mehr. Fenster und Türen haben sie vernagelt, ihr Raum ist eng. Es ist gerade mal 50 Tage her, da wurde ihr Freund umgebracht. Wurde gefoltert und an ein Kreuz genagelt, wurde hängen gelassen, bis er tot war. Und allen, die zu ihm gehörten, wurde gedroht: Euch kriegen wir auch noch.

Seitdem ist nichts mehr sicher.

Zwar treffen sie sich auch nach Jesu Tod regelmäßig. Aber die Angst sitzt immer dabei. Obwohl er tausendmal gesagt hat: „Fürchtet euch nicht!“

Anfangs, in den ersten Wochen, war alles noch so lebendig. Da war er noch da. Beim Essen, wenn sie zusammensaßen, unterwegs. Sie spürten noch seine Kraft. Sie hörten noch seine Worte: „Der Himmel ist ganz nah. Er hat längst begonnen.“ Mit der Zeit wurden die Worte leiser, bis sie schließlich ganz verstummten.

Vor 2000 Jahren warten fünf Frauen und zwölf Männer auf ein Wunder. Vielleicht sind es auch mehr.

Und plötzlich passiert etwas. Niemand kann es so richtig erklären, aber alle spüren es. Ein Kribbeln. Im Bauch oder in der Herzgegend. Aus dem Kribbeln wird ein Brennen, es entfacht sie zu neuem Leben. „Wo sind unsere Träume hin?“, rufen sie. „Wie konnten wir die vergessen?“

Sie öffnen die Tür und stürmen ins Freie. Viel zu lang haben sie hinter den Mauern gehockt. Viel zu lang haben sie geglaubt, jedes Wort aus seinem Mund konservieren zu müssen, damit bloß nichts verloren geht. Plötzlich ist die alte Begeisterung wieder da, plötzlich haben sie wieder Rückenwind: Eine stimmt ein Lied an. Einer dichtet eine Ode an die Freiheit. Gemeinsam rufen sie: „Wir sind mehr!“ Alle reden durcheinander, das ist kein Chor, das ist Chaos. Und Gott schwebt über dem Chaos und ist froh, dass wieder Leben in ihnen ist.

Auf der Straße bringen sie den Alltag ins Stolpern. „Was sind das für Leute?“, fragt eine Passantin. „Ist denn schon Feierabend?“, wundert sich ein Kommunalbeamter. Und ein Priester empört sich: „Die sind doch betrunken!“ Hunde bellen und ein Huhn entwischt dem Beil des Schlachters. „Hier kommt die Zukunft“, rufen sie. „Und sie beginnt jetzt! Die Alten werden ihre Träume erzählen. Die Jungen werden ihre Utopien leben. Zusammen werden wir Prophetinnen und Propheten sein!“

Ein Kreis aus Menschen bildet sich um sie. „Sind das nicht die, deren Anführer getötet wurde? Wie kommt es, dass sie lachen?“ Erklären können sie das nicht. Sie stammeln und verheddern sich. Aber ihre Worte erzeugen ein Echo. Wir hören es: Jetzt.

 

II
Impuls LIEBE von David Barth

Wie sollte es denn ohne Liebe gehen – das will doch keiner.

Eigentlich wollen das alle: Liebe. Da sind wir uns doch einig. Das Wort „Liebe“ ist zugleich Einzahl als auch Plural. Liebe ist von der Anlage her ja immer vielfältig. Und ihr alle habt eure Erfahrungen mit der Liebe. Sicher auch schmerzhafte. Und trotzdem will niemand auf Liebe verzichten.

Das Faszinierende an Liebe ist, dass man so viel für sie tun kann. Weil sie mehr als ein Gefühl ist. Liebe ist auch eine Entscheidung. Und trotzdem lässt sie sich nicht kontrollieren. Man kann für Liebe etwas tun, aber man kann sie nicht kontrollieren.

Was kann ich für die Liebe tun? Ich kann mich dafür entscheiden, liebevoll in die Welt zu blicken. Ich kann Menschen mit Wohlwollen begegnen. Das fällt mir bei manchen leicht, bei anderen sehr schwer. Bestimmt kennt jeder von euch eine Person, die immer zu viel redet. Das ist erstmal anstrengend. Aber anstatt hinter dem Rücken die Augen zu verdrehen, könnte man die Person mit einem liebevollen Blick angucken und erkennen: Vielleicht hat sie etwas richtig Wichtiges zu sagen und findet nur nicht die richtigen Worte. Oder jemand, der immer nur still ist, braucht vielleicht einfach eine Frage, um sich am Gespräch zu beteiligen.

Ich glaube, Liebe kann man nicht erzwingen. Ich kann was für sie tun, aber ich hab sie nicht. Schon gar nicht fest oder sicher.

Wenn mir selbst mal die Worte fehlen, freu ich mich, wenn jemand zu mir kommt. Sich ehrlich interessiert und vielleicht die entscheidende Frage stellt. Das kann alles ändern – und möglich machen, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Diesen Möglichkeitssinn wünsche ich mir für uns.

 

III
Impuls ESSEN von Maja Reifegerst

Es ist eigentlich ganz leicht. Eine hat Croissants geholt und Erdbeeren. Einer hat Marmelade mitgebracht. Selbstgemachte sogar! Ein anderer kocht Kaffee. Und eine deckt schon mal den Tisch. 

Wir genießen jeden Bissen. Schenken uns gegenseitig nach. Es ist genug für alle da.

Nach dem Essen weiß ich, dass du am liebsten Brombeermarmelade magst und dass du verliebt bist. 

Und mit dir kann ich mir gut Croissants teilen und ich weiß jetzt, dass du eine Schwäche für Musik aus den 80ern hast. Und du willst im Sommer ans Meer und wenn du könntest, würdest du das ganze Jahr lang Erdbeeren essen.

Wir sitzen noch lange zusammen, erzählen, lachen. Wir sind begeistert von den Träumen der anderen. Wir schmieden Pläne. Wir wollen mehr sein als nur dieser eine Moment. Und wir stoßen auf all das an, was noch kommen wird. 

Wahrscheinlich haben Croissants mit Marmelade noch nie so lecker geschmeckt wie heute. Und wahrscheinlich hat Kaffee noch nie so geduftet wie heute. Und wahrscheinlich waren wir noch nie so zufrieden wie jetzt gerade.

Wir sind satt und voll guter Gefühle und auch ein bisschen kribbelig. Teilen macht glücklich. Und Erdbeere für Erdbeere kommen wir uns näher. Liebe geht wirklich durch den Magen! Bei Kaffee und Croissants scheint plötzlich alles möglich! 

Wir sollten viel öfter zusammen essen

 

IIII
Impuls BETEN von Susanne Niemeyer

Ich stelle mir einen Raum vor. Dieser Raum ist nicht verstaubt und piefig, es ist ein Raum, der nach oben offen ist. 

Wir greifen in den Himmel und verbinden uns mit einer Kraft, die größer ist als wir selbst. Tiefer, heller, weiter. Wir nennen sie Gott. Andere sagen Liebe, Licht, das Ewige.

Wir stellen uns vor, Gott sieht uns an und sagt: „Du. Und du und du und du. Lass doch mal los. Nicht alles, was du tust, ist gut. Aber du. Du bist gut. Gut, dass es dich gibt.“ Alle Zweifel, alle hässlichen Stimmen, alles, was an uns zerrt, darf in diesem Moment ruhen.

Ich glaube, wir brauchen so einen Raum. In dem wir ablegen können, was wir jeden Tag mit uns rumschleppen. In dem wir einander ansehen, ohne voneinander etwas zu wollen. In dem wir uns erinnern: wir gehören zusammen. Egal, wie unterschiedlich wir sind.

Wenn wir zusammen beten, ist etwas in der Schwebe. Wir lehnen Schulter an Schulter und wissen, die anderen sind keine Superheld*innen. Wir selber sind es auch nicht. Das ist okay.

Wenn wir beten, hören wir auf, besser zu wissen. Wir nageln nichts fest.

Wir können einfach sein: mal zart, mal fragend, mal leer, mal wütend, mal traurig, mal sehnsuchtsvoll.

Wenn wir beten, atmen wir zusammen aus. Und atmen ein. Und atmen wieder aus.

Wir hören auf eine Stimme, die ist nur ein Hauch. Sie haucht uns neuen Atem ein.

Und dann öffnen wir die Tür und draußen hat sich nichts verändert. Aber in uns drin, da hat sich etwas bewegt. Vielleicht nur einen Millimeter, aber wir gehen anders zurück in diese Welt – in einen Raum voll neuer Möglichkeiten

Es gilt das gesprochene Wort.

DLF-Gottesdienste